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Archiv-Artikel

Liberté toujours

Die Benutzung der öffentlichen Toiletten in Paris ist nun kostenlos. Eine sozialistische Errungenschaft

„Welch großer Sieg für den Sozialismus“, lästert man derzeit in der französischen Hauptstadt: Seit Anfang dieses Monats ist die Benutzung der rund 420 öffentlichen Straßentoiletten kostenlos, der sprichwörtliche „Toilettengroschen“ – in Wahrheit waren es in der Regel 40 Cent – gehört damit der Vergangenheit an. Gleiches soll, zumindest in der Vorstellung der linken Pariser Stadtregierung, für die Unsitte des exzessiven öffentlichen Urinierens gelten, ein traditionelles olfaktorisches Problem der Millionen-Metropole: Vor allem Männer, gleich welcher sozialen Herkunft oder Einkommensklasse, nahmen sich bislang gerne die Freiheit, die komfortablen, selbstreinigenden und dementsprechend kostenpflichtigen „Sanisettes“ geflissentlich zu ignorieren.

Der Brauch des wilden Urinierens ist in etwa so alt wie der Brauch, für die Benutzung einer öffentlichen Toilette Geld zu verlangen. „Pecunia non olet“, Geld stinkt nicht, entgegnete einst Kaiser Vespasian (69–79 n. Chr.) seinem Sohn Titus, der ihm den Gedanken auszureden versuchte, Geld für die Benutzung der öffentlichen römischen Bedürfnisanstalten zu nehmen. Dementsprechend hießen die öffentlichen Bedürfnisanstalten in Paris traditionell „Vespasienne“. Von diesen einst über 1.200 Anlagen ist jedoch nur noch eine einzige erhalten, sie befindet sich auf dem Boulevard Arago.

Paris, immer eine Reise wert, vollzieht nun einen weiteren Quantensprung in der Entwicklung der öffentlichen Bedürfnisanstalt: Die französischen Unisex-„Sanisettes“ waren bereits Avantgarde, hatten sie doch als Erste die so genannten Pinkelrinnen bzw. Urinale abgelöst – inklusive reinigender Servicekraft mit wartendem Tellerchen. Nun wird also auch noch der Münzschlitz obsolet. „Le pipi bientot gratuit à Paris“, freute man sich in der Boulevardpresse, allzeit freie Toiletten für freie Bürger. Paris ganz modern: Ab 2007 wird die neue, todschicke „Sanisette“-Generation installiert. MARTIN REICHERT