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Archiv-Artikel

Untote im Fummel

OPERNPREMIERE Der Intendant der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, hat Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“ neu inszeniert

Bei den Rotters bekam man gewiss nackte Haut zu sehen, bei Kosky sind es hautfarbene Kostüme

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Wenn der letzte Vorhang gefallen ist, gehört eigentlich dem Publikum das letzte Wort. Am Sonntagabend war es anders. Barrie Kosky griff zum Mikrofon, um noch einmal zu erklären, worum es ihm in dieser letzten großen Produktion seiner ersten Spielzeit ging. Um nichts Geringeres nämlich als um Geschichtspolitik.

Andreas Homoki, sein Vorgänger im Amt, hatte versprochen, an der Komischen Oper Walter Felsensteins Erbe zu pflegen. Er hielt Wort. An der Behrenstraße fand das moderne, ästhetisch wie politisch wegweisende Musiktheater wirklich statt – das, wovon in Berlin sonst immer nur geredet wird.

Noch vor seiner ersten Premiere im letzten Herbst gab auch sein Nachfolger ein Versprechen ab. Die Geschichte des Hauses habe nicht mit Felsenstein begonnen, gab Kosky zu Protokoll. Das ist wahr. Vor den Nazis hieß es Metropol-Theater, gehörte den Brüdern Rotter, die eigentlich Schaie hießen und Juden waren. Ihr Chefdirigent war Paul Abraham, auch ein Jude. Ihre Revuen und Operetten waren das Größte, was Berlin damals zu bieten hatte, aber das nützte ihnen gar nichts, als die Nazis kamen.

Abraham konnte fliehen, verlor wegen einer Syphiliserkrankung den Verstand und starb 1960 in Hamburg. Wie ein „Dibbuk“, sagt Kosky auf der Bühne, umringt von Chor und Solisten in vollem Fummel, so bunt und queer wie auf einem Umzug zum Christopher Street Day. Dibbuks sind Untote in fremden Körpern, die befreit werden müssen. Genau das sei heute Abend geschehen, sagt Kosky und lässt als Zugabe einen der größten Hits von Abraham singen: „Reich mir zum Abschied noch einmal deine Hände“.

Abrahams letzte Operette

Das ist ein wunderschönes Stück Musik über das Ende einer Liebe, das nicht klagt und schluchzt. Es lässt den echten und ernsten Schmerz einer solchen Situation fühlen. Schade, dass Momente dieser Dichte selten waren in den fast drei Stunden davor, die sehr lange gedauert haben. Kosky hat Abrahams letzte Berliner Operette inszeniert, den „Ball im Savoy“, uraufgeführt am 23. Dezember 1932, ein Monat bevor Hitler Reichskanzler wurde.

Der Text ist eine deftige Komödie über das wilde Leben der besseren Kreise, grob geschnitzt nach Berliner Geschmack und mit viel Herz auf dem rechten Fleck. Soeben von der Hochzeitsreise zurückgekehrt, probt ein junges Paar den Seitensprung. Das gibt Dagmar Manzel die Gelegenheit, mal ein paar Dinge klarzustellen. „Was haben Frauen von der Treue?“ Gar nichts natürlich, und nach eher komplizierten als lustigen Verwicklungen sorgt sie für krachenden Aufruhr mit dem Satz: „Ich habe soeben meinen Mann betrogen.“

Hat sie gar nicht, aber die Lektion sitzt bis heute, und Manzel füllt ihre Rolle bis zum Rand mit ihrer ganzen komödiantischen Genialität. Der Tenor Christoph Spät und selbst der in diesem Fach nun wirklich erprobte Helmut Baumann haben es schwer, mit ihr mitzuhalten. Zum einen, weil ihre Rollen, Ehemann der eine, türkischer Lebemann mit Harem der andere, konventioneller angelegt sind. Mehr noch aber, weil Kosky sie im Stich gelassen hat.

Seine Regie leidet an einer merkwürdigen Verliebtheit in die Semantik von Kleidern. Alles muss so bunt, schrill und sexy sein wie nur irgend möglich. Die Berliner bekamen bei den Rotters gewiss auch nackte Haut zu sehen, schließlich tanzte nebenan Josephine Baker, bei Kosky sehen wir hautfarbene Ganzkörperkondome mit schwarzen Mustern an den drei Stellen, die zwischen all den Drag-Queens im Fummel herumtanzen.

Das ist zu viel und zu wenig für Paul Abraham. Zu viel, weil ihn diese zweite Verfolgungsgeschichte der Schwulen überfordert, so furchtbar die Sexualpolitik der Nazis auch war. Zu wenig, weil seine ziemlich biedere Dramaturgie nicht nach Symbolen, sondern nach Zusammenhang zwischen den einzelnen Nummern verlangt. Kosky macht stattdessen Pausen, um Luft zu holen für das nächste Setup. So stolpert das Stück vor sich hin, ohne je die Fahrt aufzunehmen, die es braucht.

Darunter leidet vor allem Katherine Mehrling in der heimlichen Schlüsselrolle der Daisy Darlington, die ein veritabler Jazzkomponist sein soll. Sie spukt überall dazwischen und treibt die Intrigen voran, weil sie verkörpert, was Abraham am wichtigsten war: der Jazz. Was er darunter verstand, ist mit dem unübersetzbaren Wort „schmissig“ umfassend beschrieben. Sein Jazz swingt nicht, am Ende beginnt er immer ein wenig zu stampfen wie die Berliner Luft, Luft, Luft seines Ahnherrn Paul Linke.

So zauberhaft schön wie sein Abschiedslied aus einer anderen Operette, das Kosky als Zugabe angehängt hat, ist das nicht immer. Daran konnte auch der Dirigent Adam Benzwi nichts ändern. Aber es ist die historische Wahrheit, um die es geht. Der Weg voran zu einem neuen Metropol-Theater wird lang und steinig. Das weiß Kosky wohl selber, aber er wird ihn gehen.