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Archiv-Artikel

In deutscher Treue

„Man sitzt eigentlich nur rum und denkt und schreibt und unterhält sich“

AUS MEERANE MICHAEL BARTSCH

Die „f6“ zwischen den Fingern scheint ihre gute Laune zu verdoppeln. Gitta Schüßler zieht genüßlich an einer Zigarette der DDR-Traditionsmarke. Sie fühlt sich in ihrer Rolle und in ihrem Abgeordnetenbüro offensichtlich wohl. „Die Partei wird mich schon lotsen!“, sagt die 44-Jährige. „Ich meine natürlich, zum Parteitag …“

Schüßler ist die einzige Frau in der auf neun Kameraden geschrumpften sächsischen NPD-Fraktion. Morgen trifft sich ihre Partei zum Landesparteitag. Vier Tage zuvor kannte nicht einmal die Delegierte Schüßler den Tagungsort. Journalisten dürfen ihn eineinhalb Stunden vor Beginn erfragen. Ein mittlerweile gewohntes Versteckspiel.

Seit kurz vor Weihnachten drei Abgeordnete aus Partei und Fraktion austraten, ringt die sächsische NPD um ihre Zukunft. Die Partei fürchtete gar, es könnten noch mehr Parlamentarier die NPD verlassen. Auch Gitta Schüßler galt als Wackelkandidatin. Ihren Krisenparteitag wollte die NPD daher ursprünglich hinter verschlossenen Türen abhalten. Jetzt will sie doch Öffentlichkeit zulassen – weil die Gefahr weiterer Abtrünniger erst einmal gebannt scheint.

Dass die NPD noch keinen Ort für ihre Krisensitzung nennt, ist nicht nur Kalkül. Der Partei ergeht es nicht anders als der Abgeordneten Schüßler. Niemand will der NPD einen Saal vermieten, schon gar nicht in der Umgebung Dresdens, so dass sie bis ins Vogtland ausweichen muss. Und Gitta Schüßler aus dem westsächsischen Limbach brauchte 20 Anläufe, ehe ihr eine West-Vermieterin im 20 Kilometer entfernten Meerane eine Einraumwohnung überließ.

Warum liebt das Volk jene Partei so wenig, deren Ziel, so Schüßler, doch die „Wiederherstellung der nationalen Identität und Souveränität Deutschlands“ sei? Die NPDlerin erklärt dies mit einem Satz aus ihrem Fundus der erlernten Sprüche: Es mangele an der demokratischen Toleranz. Wo links, da auch rechts, und warum in Deutschland nicht ebenso wie in anderen Ländern?

Um Schüßlers Büro zu finden, bedarf es ebenfalls eines Lotsen. Neben der Tür des unscheinbaren Eckhauses am Stadtrand von Meerane findet sich ein Sachsenwappen und der Schriftzug „Sächsischer Landtag“, darunter ihr Name. Nur einige Flyer hinter den Fensterscheiben im Erdgeschoss verraten, dass hier die NPD logiert. Die umfunktionierte Einraumwohnung sieht so bieder aus wie das Büro eines Heimatverschönerungsvereins. An den Wänden Fotos von alten deutschen Fachwerkhäusern. Hinten zwei Türen für die Sanitärzelle und die Miniküche. Auf dem Schreibtisch klemmt eine Kopie des Originalfotos mit der Banderole „Denn du bist Deutschland“ unter einem gemalten Führerbild, das 1935 auf einer Veranstaltung in Ludwigshafen entstand – und von dem die Macher der Kampagne 2005 offenbar keine Ahnung hatten.

Ein Mann, über dessen Muskelpakete kein Hemd zu passen scheint, schleppt Wahlplakate aus dem Erfolgsjahr 2004 ins Auto. Es ist Patrick Gentsch, Mitarbeiter und ständige Bürobesatzung. „Wir sind eine arme Partei. Die Pappen werden für den nächsten Wahlkampf wieder gebraucht“, sagt Frau Schüßler. Und Slogans wie „Arbeit zuerst für Deutsche“ erscheinen auch wieder verwendbar. Eine arme Partei? Nun ja, der Verlust der drei im Dezember ausgetretenen Abgeordneten kostet zumindest die Fraktion jährlich eine knapp sechsstellige Summe an öffentlichen Zuschüssen.

Was könnte der Verfassungsschutz in einem solchen Abgeordnetenbüro entdecken? Die NPDlerin witzelt: „Die Hakenkreuzfahne haben wir vorhin abgehängt!“ Ein solcher auf Brachialsächsisch vorgetragener Scherzton bestimmt die Unterhaltung.

Schüßler ist die Alibifrau ihrer Partei. Die 44-jährige dreifache Mutter und vierfache Oma würde gut in einen Bildband „Die Frau im Sozialismus“ passen. Im Landtag widmet sie sich den Bereichen Familie und Schule. Beruflich hat sie vieles probiert, vom Buchhandel über Bauzeichnungen bis zum Esoterikladen. Bis es ihr dann seit dem 9,2-Prozent-Wahlerfolg 2004 als Abgeordnete „sehr viel besser“ geht. Die Wochenenden seien zwar häufig belegt, aber sonst „sitzt man eigentlich nur rum und denkt und schreibt und unterhält sich“.

Auf dem Tisch liegt die Fraktionszeitung „Klartext“ mit einer Schüßler-Kolumne, hinter der wie bei den meisten ihrer Redetexte der Ghostwriter und Fraktionsmitarbeiter Stefan Rochow steckt. Unter anderem diese Redevorgabe hatte die drei NPD-Deserteure aufgebracht, die im 100 Kilometer entfernten Dresdner Landtag ihren Frust noch immer als endlose Zigarettenrauchkringel gen Himmel schicken.

Die drei sitzen in einem provisorischen Kollektivbüro. Sie brüten über einen Weg zwischen allgegenwärtiger NPD-Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft in der Freiheitlichen Splitterpartei FPD.

Es gibt etwas zu zitieren in diesen Januarwochen nach dem Eklat in der sächsischen NPD. Der abtrünnige Jürgen Schön aus Leipzig schickt den „NPD-Blödianen“ einen Neujahrsgruß des Wortlauts: „Gott soll euch heidnisches Pack vernichten! Ich wünsche euch die Pest an den Hals!“ Der parlamentarische Geschäftsführer Uwe Leichsenring revanchiert sich im Januarplenum des Landtages mit der Titulierung der Abtrünnigen als „Zementsäcke“. Mit Mirko Schmidt und Klaus Baier nehmen zwei dieser „Säcke“ immerhin an der Holocaust-Gedenkstunde im Landtag teil.

Zentrale Vorwürfe der Abtrünnigen stehen weiter im Raum. „Die haben die Ossis von Anfang an ins Aus geschickt“, grollt Klaus Baier, und „die wissen gar nicht, was die Wähler bewegt!“ Weiß es die Abgeordnete Schüßler? Die „Ost-West-Hetze“ nimmt sie, die doch mit vielen Attributen der einfachen Ost-Frau kokettieren kann, besonders übel. Und was sagt sie zu dem Vorwurf, die NPD vernachlässige die soziale Frage? Wer sucht sie denn auf in ihrem Büro und was ist von den starken Parolen des Anti-Hartz-Wahlkampfjahres 2004 geblieben? Schüßler lächelt verlegen. Gelegentlich kämen Leute mit „ganz alltäglichen Sorgen“ wie Scheidungsproblemen. Entschädigungsfragen für Stasi-Opfer sind schon die politisch brisantesten Themen, mit denen sich Bürger an sie gewandt haben.

Im Büro hat Schüßler eine Kopie des Fotos „Denn du bist Deutschland“ von 1935

Da klingelt tatsächlich jemand an der Tür. Der junge Mann ist Gitta Schüßler offenbar bekannt. Trotz seiner Rennfahrerjacke mit amerikanischer Werbung outet er sich als „eher rechts“. Unisono wettern die beiden gegen die „schwere finanzielle Bürde“ der uns zugesprochenen Schuld an Krieg und Völkermord. Oder gegen die „kulturlosen Amerikaner“, deren Nationalstolz vergleichsweise durch keinerlei Kriegsverbrechen getrübt werde, und gegen die „Sozialschmarotzer“ aus anderen Ländern und ihr kriminelles Potenzial.

Schüßler selbst blieb bislang von Anfeindungen meist verschont. Vor ihrer Bürotür lag schon einmal ein Haufen fauler stinkender Äpfel. Sonst aber gehe es ruhig zu, sagt sie. So ruhig, dass die meisten Passanten von einem NPD-Büro auf der Äußeren Crimmitschauer Straße gar nichts wissen. Wird es auf dem „Krisenparteitag“ am Sonnabend auch so gepflegt zugehen? Gitta Schüßler stört schon das Wort. Es gebe keine Krise. Landesgeschäftsführer Johannes Müller geht noch weiter: „Die Trennung von alten Zöpfen bietet die Chance, uns zu einer modernen Rechtspartei zu entwickeln.“

Über vier Kreisverbände war nach den spektakulären Austritten der „organisatorische Notstand“ verhängt worden, um dort linientreue Nachfolger zu wählen. In Annaberg bei Klaus Baiers Hausmacht hat das trotz einer Agitationsreise des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt nicht funktioniert. Der Kreisverband sei „praktisch tot“, sagt Baier. Für morgen erwartet er einen inszenierten „Jubelparteitag“. Schon zum gut besuchten Jahresauftakt der Sachsen-NPD schienen die Reihen wieder fest geschlossen. „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“, behauptet auch der Landesvorsitzende Winfried Petzold, der mit Jürgen Schön gut bekannt war und selbst als einer der ostdeutschen Wackelkandidaten galt. Auffällig ist angesichts früherer Differenzen sein demonstrativer Schulterschluss mit dem Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel. Den bestätigt sogar Sachsens Verfassungsschutzpräsident Rainer Stock. Es gebe keine Führungsdebatte, und die drei prominenten Austritte hätten eher zu einem „Zusammenschweißen“ der Landes-NPD geführt.

Laut Petzold gab es 23 Austritte und 63 Neuaufnahmen zu Jahresbeginn, womit die Partei in Sachsen ihre Mitgliederzahl bei mehr als 1.000 stabilisiert hat. Gitta Schüßler, die erst im Zuge des Verbotsverfahrens 2002 von der Sympathisantin zum Parteimitglied avancierte, präsentiert sich ebenfalls als treue Verbündete. „Die Parteimitgliedschaft ist wie eine Ehe. Wenn man sich einmal entschieden hat, bleibt man.“

Für den Parteitag hat sie sich einen besonderen Antrag ausgedacht. Sie will sich ein wenig Gesellschaft beschaffen und mit einer „weniger militanten Außendarstellung“ mehr national gesinnte Frauen der NPD nahe bringen. „So, wie Udo Voigt die Kameradschaften zur NPD führt, werde ich die Frauen in die NPD führen.“