Die Furcht der Eliten

KRISE Euroausstiegs-Debatte, Teil III: Die deutsche Linke sollte keine Prinzipiendiskussionen führen, sondern nach Situation entscheiden

■ ist Herausgeber des Buchs „Ein Thriumph gescheiterter Ideen. Warum Europa in der Krise steckt“ (VSA) und Sozialforscher an der Universität Duisburg. Zuvor debattierten hier Winfried Wolf (30. 5.) und Elmar Altvater (3. 6.).

Nun hat auch die deutsche Linke ihre Euroausstiegsdebatte. Auffallend an den Pro- und Kontra-Beiträgen in der taz und anderen Medien ist zunächst das Ausmaß an grundsätzlicher Übereinstimmung in der Analyse der Euro-Misere: Die Währungsunion war von Anfang an eine von dem Glaubenssatz geleitete Fehlkonstruktion, dass der Markt alles am besten regele und der Staat vor allem seine Ausgaben und seine Schulden reduzieren solle.

Und dann treibt in dieser Konkurrenz-Union ausgerechnet die stärkste Volkswirtschaft – die deutsche – als einzige die durchschnittlichen Löhne im eigenen Land in den Sinkflug, produziert damit wirtschaftliche Ungleichgewichte und pustet mit den dabei entstandenen Gewinnen Blasen in anderen Ländern auf. Wenn die größte Volkswirtschaft in einer Währungsunion „Profitieren, ohne zu investieren“, zu ihrem Geschäftsmodell macht, fliegt das Projekt früher oder später allen Beteiligten um die Ohren. Um das nunmehr drohende Scheitern noch abzuwenden, wird den akut Kranken per „Fiskalpakt“ und „Strukturreformen“ eine Medizin verordnet, die sie noch kränker macht.

Debatte ohne Adressat

Da bei nüchterner Betrachtung deshalb vieles auf ein Auseinanderbrechen des Euro hindeutet, sind Kritiker der herrschenden Politik natürlich gut beraten, verschiedene Szenarien gedanklich durchzuspielen. Auch einige Befürworter der Ausstiegsoption weisen richtigerweise auf die enormen Risiken einer Euroauflösung für alle Beteiligten hin – also nicht allein für die deutsche Wirtschaft, die bei einem Scheitern des Euro am meisten zu verlieren hätte, sondern auch und vor allem für die heutigen Krisenländer. Wenn deren Währungen abgewertet würden, sind keineswegs alle Probleme gelöst. Gerade deswegen plädieren Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas in ihrer Ausstiegsstudie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung oder Jens Berger (taz vom 24. 5.) für eine „geordnete“ Auflösung der Währungsunion. Allerdings bleibt völlig im Dunkeln, wer oder was denn die europäischen Hauptakteure zu einem solchen schier unvorstellbaren Ausmaß an wirtschaftspolitischer Vernunft bewegen könnte.

Hier wird ein grundsätzliches Problem dieser Argumentation deutlich: Die linke Exit-Debatte ist eine Diskussion ohne Adressaten. Welche gesellschaftlichen und politischen Akteure sollen da angesprochen werden? Etwa die Regierungen solcher Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal, also bislang überaus willige und eifrige Vollstrecker der Troika-Diktate?

Was würde denn passieren, wenn sie – was schwer genug vorstellbar ist – plötzlich die Reißleine ziehen, weil ihnen die sozialen und politischen Probleme in ihren Ländern über den Kopf wachsen? Ihr Notausstieg aus dem Euro wäre dann selbstverständlich kein Ausstieg in Fahrtrichtung links. Die enormen wirtschaftlichen und sozialen Folgen von massiver Währungsabwertung und Schuldenschnitt würden dann den Bevölkerungen dieser Länder ebenso aufgebürdet wie jetzt die Folgen der Troika-Diktate. Nur wären dann „die Märkte“ schuld und nicht mehr Merkel und Schäuble. Neoliberale Politik wurde schon vor dem Euro betrieben, und sie kann auch nach einem Ausstieg aus dem Euro fortgesetzt werden. Der Euro ist nicht der Ursprung dieser zerstörerischen Politik, sondern in seiner jetzigen Konstruktion ein ihr dienender Mechanismus.

Wieder ein deutscher Ratschlag

Oder soll die linke Exit-Debatte ein weiterer gut gemeinter Ratschlag aus Deutschland sein, der den gebeutelten SüdeuropäerInnen den – diesmal linken – Weg zeigt? Wohl mit der impliziten Botschaft: Tut uns leid, dass wir deutsche Linke zu schwach sind, um unsere Regierung zum Kurswechsel zu zwingen, deshalb rette sich, wer kann! Abgesehen davon, ob mit Kapitulationserklärungen – und dann noch in einem Wahljahr – politische Erfolge zu erzielen sind, gibt es ja noch den kleinen Schönheitsfehler, dass die derart Angesprochenen bislang mehrheitlich auf anderem Kurs sind. Denen geht es ja zunächst und in allererster Linie darum, den ihnen von der Troika und der eigenen Regierung aufgezwungenen Katastrophenkurs der Austerität und der Zerstörung der Sozialsysteme zu stoppen. Und darum, so mehr Luft zum Atmen zu bekommen, um eine Neuorientierung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung ihrer Volkswirtschaften angehen zu können. Denn das ist es, was diese Länder dringend benötigen, ob mit oder ohne Euro.

Das Drohpotenzial nutzen

Wenn die größte Volkswirtschaft der Eurozone „Profitieren ohne investieren“ praktiziert, fliegt das Projekt allen um die Ohren

Aber einmal angenommen, neue linke Koalitionen hätten in den Krisenländern Erfolg und könnten die Regierungspolitik bestimmen: Was würden sie tun? Aus dem Euro austreten? Eher nicht, zumindest nicht als Erstes. Sie würden die begründete Furcht der deutschen Eliten vor einem Zerfall der Währungsunion zu nutzen versuchen, um ein Ende der Troika-Diktate durchzusetzen (solch ein Drohpotenzial hätte sogar die griechische Syriza). Dann würde vielleicht sogar Hollande ein bisschen Mut zusammenkratzen. Und dann stünden die Merkels, Rehns und Draghis vor einer schwierigen Entscheidung. Es läge in ihrer Hand, das Auseinanderbrechen des Euro zu vermeiden.

Die deutsche Linke sollte in einer solchen Situation die Forderungen der betreffenden Krisenländer solidarisch unterstützen. Wenn dann der Euro scheitert, tragen dafür die heutigen Machthaber in der EU die Verantwortung. Linke und soziale Bewegungen aber dürfen sich diesen Schuh nicht anziehen. Ihre Vorschläge zur Schadensbegrenzung bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone sollten sie dann, und zwar erst dann, einbringen.

Bis dahin muss alle Aufmerksamkeit auf Schadensvermeidung konzentriert werden. In Deutschland geht es da vor allem gegen Fiskalpakt und Schuldenbremse, für Steuerreformen und die dringendsten Reformen auf dem Arbeitsmarkt, um die Umverteilung von unten nach oben zu stoppen und damit die Wurzel des Übels zu bekämpfen, das zu einem Problem der gesamten Eurozone geworden ist. Diese Reformen braucht Deutschland übrigens auf jeden Fall, ob mit oder ohne Euro. Und jeder Erfolg hier wäre zugleich die wirkungsvollste Solidarität aus Deutschland mit den Menschen in Südeuropa. STEFFEN LEHNDORFF