WIEDERGELESEN: FRIEDRICH SCHLEGELS FRAGMENTE
: Bekehrung zum Schweigen

„Mit der Ironie ist durchaus nicht zu scherzen“

Friedrich Schlegel, Ironiker

Total toll fanden’s Reaktionäre wie Eichendorff, die anderen, wie Heine, sagten: schlimm, schlimm. Aber warum der am 10. März 1772 in Hannover als Sohn eines lutherischen Superintendenten geborene Friedrich Schlegel 1808 zum Katholizismus konvertiert ist, schien ganz klar: Das war absehbar, hieß es bei Heine, das war die ganze Richtung schon von Anfang an, fand auch Eichendorff, Romantik ist literarischer Katholizismus, und Schlegel war nun mal der Erfinder der Romantik.

Trotz der schönen Harmonie hat diese Diagnose eine Schwäche: Sie passt nicht zu den Schriften. Sicher, im zeitlichen Umfeld der Konversion hat er dann ein paar geistliche Lieder gedrechselt, aber wer hat die schon gelesen? Wichtig ist Schlegel nur in den 1790er-Jahren, und da ist er revolutionär: Schon durch ihre äußere Form widersprechen seine bedeutendsten ästhetischen Schriften der Behauptung einer ausgetüftelten und unverrückbaren Dogmatik. Auch kennen sie kein unbestrittenes Lehramt: Es sind vier Sammlungen von Fragmenten, ohne innere systematische Ordnung. Und in ihnen entwirft er, mal allein, mal als Co-Autor, mal als Primus inter Pares die Theorie einer Literatur der Zukunft.

Diese Fragmente sind der Beginn der modernen Literatur, die eben nicht rhetorischen Modellen der Vorzeit verpflichtet ist, ja die letztlich überhaupt kein Modell kennt. Bescheiden tritt sie deswegen aber nicht auf. „Die romantische Dichtart“, geht Schlegel im berühmten 116. der 1798 publizierten Athenäums-Fragmente in die Offensive, „kann durch keine Theorie erschöpft werden.“ Ja, mehr noch: „Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei ist.“ Und schließlich: „In einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch sein.“

Um die Pointe zu verstehen muss man wissen: Schlegel schreibt das über eine Literatur, über die er – im selben Fragment – mitteilt, dass es sie noch gar nicht gibt, und die, selbst wenn es sie einst gibt, immer noch „im Werden“ sein wird. Insofern ist der für sie erhobene Anspruch auf Hegemonie nicht nur atemberaubend kühn – sondern zugleich einer, der sich ironisch bricht und aufhebt. Was aber bleibt dann vom Fragment?

Das ist eine so einzigartige wie Schlegel-typische Lektüre-Erfahrung. Kaum meint man eine Formation in den Fragmenten entdeckt zu haben, beginnen die nächsten Aperçus, sie wieder zu deformieren. Mit der Folge, dass man am Ende kein bisschen schlauer ist als zuvor – aber dafür mit Sicherheit gut durchgeschüttelt. Bloß: Kann ein Text mehr erreichen?

Das Problem: Ein Ende ist ja genau nicht in Sicht. Die Ironie setzt sich fort, sie „wird wild“ und lässt sich „gar nicht mehr regieren“, räumt Schlegel in seinem „Versuch über die Unverständlichkeit“ (1800) ein, eine – ironische – Erläuterung der Athenäums-Fragmente. „Mit der Ironie ist durchaus nicht zu scherzen“, schreibt er dort.

Es gibt Indizien, dass dieser Satz viel verzweifelter gemeint ist, als er klingt: Die ständige Erschütterung, das Einreißen der Fundamente – aus dieser Dynamik gibt es kein Entrinnen, es sei denn, ein symbolisches Verstummen, der Verzicht auf allen künstlerischen Anspruch. „Nur derjenige kann ein Künstler sein“, schreibt Schlegel in „Ideen“, seiner letzten Fragment-Sammlung, „welcher eine eigne Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat.“ Eine Bekehrung zum Katholizismus ist das exakte Gegenteil davon. BES