: Neue chinesische Pingpong-Diplomatie
TISCHTENNIS Die Chinesen führen binationale Doppel ein, weil sie sich mit ihre Dauererfolge langweilen
„Ma Longs Vorhand ist eine Granate!“ Bei der Tischtennis-WM in Paris versuchte Timo Boll die krachenden Schmetterbälle des Chinesen noch zu entschärfen – im besten Spiel der Weltmeisterschaft gelang das aber nur phasenweise. Der 32-jährige Rekord-Europameister schied im Viertelfinale gegen den World-Cup-Gewinner durch ein 2:4 aus. Bei den mit 212.000 Euro dotierten China Open in Changcun will Boll nun Ma Long gar besonders in Szene setzen: „Ich werde alles tun, um ihn in Schussposition zu bringen. Und 50 Millionen Chinesen werden uns dabei im Fernsehen zuschauen. Das wird ein Spektakel!“, verspricht der Weltranglistenfünfte.
Erstmals werden bei der China Open Doppel aus zwei Nationen gebildet. Boll ist ein Profiteur dieser Premiere. Weil die Asse aus dem Reich der Mitte sich so gar nicht mehr bezwingen lassen, sind selbst die einheimischen Fans der Monotonie überdrüssig. In den letzten 17 Jahren gewannen die Chinesen bis auf 2003 alle Einzel-Titel bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Aus China kam bemerkenswerterweise der Vorschlag, dass künftig jedes Land nur vier der fünf WM-Wettbewerbe besetzen dürfe.
Cheftrainer Liu Guoliang lässt nun im Rahmen der neuen Pingpong-Diplomatie sechs seiner Schützlinge mit Ausländern antreten. Gleich drei Deutsche kommen dabei in den Genuss und sind fürs heute beginnende Achtelfinale gesetzt: Der Olympia-Dritte Dimitrij Ovtcharov versucht sich mit Supertalent Yan An. Die Nachwuchshoffnung des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB), der Fuldaer Patrick Franziska, erhält zudem direkten Anschauungsunterricht des Weltranglistenersten Xu Xin. Das große Los zog der Franzose Adrien Mattenet mit dem alten und neuen Weltmeister sowie Olympiasieger Zhang Jike. Dessen Landsmann Quentin Robinot darf sich auf Vizeweltmeister Wang Hao freuen, und der Südkoreaner Kang Dongsoo spielt mit Fan Zhedong. Boll und Ma Long gelten als Topfavoriten. Der Hesse hat nicht nur mit dem langzeitverletzten Christian Süß viermal in Folge den EM-Titel abgeräumt. Er wurde auch 2006 mit seinem Düsseldorfer Bundesliga-Kollegen Vize-Weltmeister. Vor allem dürfte der Linkshänder mit Ma Long gut harmonieren. Schließlich haben sie schon einmal bei einem chinesischen Turnier ein Doppel gebildet. „Da hat’s gut funktioniert. Denke, wir passen gut zusammen“, verbreitete er via Internet.
Der sonst von den Stars oft vernachlässigte Wettbewerb rückt durch die Neuerung mehr in den Fokus. Im Einzel will aber jeder auch seinen Doppelpartner schlagen. Der auf Position fünf gesetzte Boll träfe im Viertelfinale auf Wang Hao. Auf Ovtcharov wartet dann Ma Long, so er nicht im Achtelfinale an dem auf Rang zehn gesetzten Saarbrücker Bastian Steger scheitert. Die deutschen Topspieler bleiben auch nach den China Open im Reich der Mitte. Boll wie der beim russischen Spitzenteam Fakel Orenburg unter Vertrag stehende Ovtcharov heuerten bei Teams für die chinesische Superliga an.
Bundestrainer Jörg Roßkopf hält den Lerneffekt beim anstehenden Turnier für begrenzt. „Es ist eine gute Sache, aber Doppel ist etwas ganz anderes als Einzel. Außerdem sehe ich uns nicht unbedingt in der Position, dass wir bei den Chinesen in die Lehre gehen müssten.“ Ovtcharov findet die Kooperation eine „coole Idee“, der Weltranglistensiebte zweifelt jedoch an der nachhaltigen Wirkung: „Sie werden bestimmt nicht alle ihre Methoden verraten.“ HARTMUT METZ