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Archiv-Artikel

Melancholischer Mittelständler

Romantische Sinnfindungsparabel mit Sinn für Exzentrik: In ihrem Debütfilm „Urlaub vom Leben“ erzählt Neele Leana Vollmar die Geschichte eines Bankangestellten in Bremen, der von einer schweren Lebensmittelkrise heimgesucht wird

Für ihren ersten langen Spielfilm hat Neele Leana Vollmar, eine Absolventin der Ludwigsburger Filmakademie, in ihrer Heimatstadt Bremen Schauplätze gefunden, die ihren Blick für schöne Architektur beweisen. Bremen erscheint in diesem verträumten Kinodebüt als aufgeräumte Vorstadtzone. Die Geschichte spielt sich in einer Straße mit dekorativen alten Reihenhäusern, einem Sportstadion aus den Sechzigern, einer Taxizentrale in einer Tankstelle der Wirtschaftswunderära und einer Sparkassenfiliale in neusachlichem Ziegelsteinlook ab. Pittoreske Übersichtlichkeit wie in der Fernsehspielwelt herrscht vor, nur dass sie hier als Motiv für Melancholie funktioniert.

Regeln bestimmen das Leben des Sparkassenangestellten Rolf Köster. Der Mann scheint selbst dann auf der Stelle zu treten, wenn er seinem morgendlichen Routinelauf im Stadion absolviert. Joggen ist seine Methode, den Beziehungsverlust zu seiner Frau und den zwei Kindern auszuleben. Sein innerer Monolog zu Beginn stellt klar, dass er vor seiner geregelten Mittelstandsexistenz resigniert hat, bis ihm derart übel wird, dass etwas passieren muss. „Make it go away or make it better“ heißt der schöne, smoothe Jazz-Song von Holly Cole, der den Film durchzieht.

Gustav Peter Wöhler spielt den Köster in der Midlife-Krise mit dem ganzen Gewicht seiner Korpulenz und einem erschrockenen Mondgesicht. Sein Sparkassenchef schenkt dem kränkelnden Einzelgänger eine Woche Urlaub, dieser behält jedoch die Routine bei, erzählt seiner durchorganisierten Stressfamilie nichts und streift täglich mit der Aktenmappe durch die Stadt. Unerwartete Begegnungen machen die Auszeit zum titelgebenden Urlaub vom Leben. Ralph Köster trifft auf Sophie, eine originelle, zu direkter Ansprache und spontanen Ideen fähige Taxifahrerin, eine schräge Fee oder provozierende Ersatztochter, der Meret Becker leider einen Tick präpotenten Vorwitz, zu große Kulleraugen und Besserwisserei verleiht. Frau Köster (Petra Zieser) versucht derweil spröde und patent, neben Beruf und Familienmanagement ihre Affäre mit dem kuscheligen Schuldirektor auszuleben. Die Kinder (Luisa Sappelt, Philipp Stölken) fragen sich besorgt, wann man eigentlich verrückt sei, während die Kindergärtnerin alles daran setzt, den kleinen Köster, der nie ohne Fahrradhelm zu sehen ist, durch den Schuleignungstest rasseln zu lassen.

Am Ende hat Köster sein Lauftempo gehalten und den Gleichmut wieder gefunden – ohne Gattin, gekündigt auf eigenen Wunsch und in der neuen Rolle als allein erziehender Vater. Angst vor der Arbeitslosigkeit hat der Held dieser naiv romantischen Sinnfindungsparabel nicht. Das Drehbuch von Janko Haschemian setzt sich über das Zeitgeistthema Nummer eins hinweg und fragt stattdessen, was man jenseits von Arbeit eigentlich mit dem Leben anzufangen weiß. Mit Sinn fürs Exzentrische und reichlich Sympathiebonus gegenüber gestressten 40-somethings ist der Film damit beinahe doch wieder auf der Höhe der Zeit. CLAUDIA LENSSEN

„Urlaub vom Leben“. Regie: Neele Leana Vollmar. Mit Gustav Peter Wöhler, Meret Becker u. a. D 2005, 87 Min.