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Archiv-Artikel

Sicherheitsstandards sehr unterschiedlich

Bei der Sicherheit von Fähren herrscht ein Nord-Süd-Gefälle. In Europa gelten die schärferen Standards des „Stockholm Agreement“, während die jetzt gesunkene „Al-Salam 98“ nur die Kriterien der International Maritime Organization erfüllte

„Wenn ein Schiff unsicher ist, dann ist es unsicher, egal wo es verkehrt“

VON TARIK AHMIA

Das jetzige Fährunglück im Roten Meer erinnert an die Katastrophe der „Estonia“ in der Ostsee 1994 oder der „Herald of Free Enterprise“ 1987 vor Zeebrügge im Ärmelkanal: Immer waren „Roll-on-Roll-off“-(Ro-Ro-)Schiffe betroffen, die ihre Bugklappe zum schnellen Be- und Entladen komplett öffnen können. Diese Konstruktion wurde der „Al-Salam 98“ möglicherweise zum Verhängnis, die am Freitag mit 1.400 Passagieren an Bord kenterte. Könnte sich ein solches Unglück auch in Europa wiederholen?

Zumindest sind die Sicherheitsstandards hier besser. Sie wurden nach den Fährunglücken der „Herald of Free Enterprise“ (193 Tote) und der „Estonia“ (852 Tote) verschärft. Seit 2002 gilt in Europa das so genannte Stockholm Agreement, das vorschreibt, ältere Fährschiffe mit Zusatzschotten nachzurüsten. Sie sollen verhindern, dass ein Schiff bei Wassereinbruch schlagartig sinkt – wie es bei der „Al-Salam 98“ passiert ist. Die italienische Schifffahrtsaufsicht Rina hatte der 35 Jahre alten Fähre noch im Oktober attestiert, die Sicherheitsstandards der International Maritime Organisation (IMO) zu erfüllen. Doch deren Anforderungen liegen deutlich unter den europäischen Standards, die vorsehen, dass eine Ro-Ro-Fähre auch mit zwei gefluteten Decks und bis zu 50 Zentimeter Wasserstand im Autodeck noch seetüchtig bleiben muss. Die IMO hingegen legt keinen Grenzwert für Wasser im Autodeck fest und fordert Seetüchtigkeit auch nur bei einem gefluteten Deck. Fachleute kritisieren diese unterschiedlichen Sicherheitsstandards: „Wenn ein Schiff unsicher ist, dann ist es unsicher, egal wo es verkehrt“, bemängelt der britische Schiffsexperte Andrew Linington.

„Der Profit kommt im Süden vor der Sicherheit der Passagiere“

Es ist nicht ungewöhnlich, veraltete und unsichere Schiffe in ärmere Länder abzuschieben. „Der Profit kommt vor allem in den südlichen Meeren vor der Sicherheit der Passagiere“, stellte ADAC-Vizepräsident Max Stich fest, als er den neuesten ADAC- Fährentest vorstellte. Der Autoclub untersucht seit sieben Jahren jährlich die europäischen Personenfähren. „Die Sicherheit auf Fährschiffen in Europa lässt nach, je weiter man nach Süden kommt“, sagte Stich. Während in der Ostsee beim ADAC-Test kein einziges Schiff schlechter als „gut“ abschnitt, fahren die Schiffe mit den schlechtesten Bewertungen im Mittelmeer (Griechenland, Süditalien) und zwischen den Kanaren. Fähren im Roten Meer wurden bislang nicht getestet.

Doch auch in Europa stehen die Reeder unter Preisdruck, denn 1996 liberalisierte die EU den Schiffsverkehr. Seither wird vor allem beim Personal gespart. So verkaufte die französische Regierung – begleitet von wochenlangen Streiks – ihre defizitäre Fährlinie SNCM, die Korsika und Nordafrika anfährt. Vor zwei Monaten trieb der Streit um Dumpinglöhne und „Sklavenarbeit“ bei der Reederei „Irish Ferries“ 150.000 Menschen in Dublin auf die Straße – Irlands größte Demonstration seit einem Vierteljahrhundert. Das Unternehmen wollte seine 543 Seeleute durch Angestellte aus Osteuropa ersetzen, die nur einen Stundenlohn von 3,60 Euro erhalten sollten. Dabei geht es nicht allen Reedern schlecht: Auf der Ostsee zumindest boomt das Geschäft. Der Seehafen Kiel steigerte den Passagierverkehr im vergangenen Jahr um 20 Prozent auf 1,56 Millionen.

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