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Archiv-Artikel

der nichtautofahrer von EUGEN EGNER

Als ich Mitte zwanzig war, hatte ich eine Freundin, die mich zu verlassen drohte, weil ihr das ortsgebundene, ereignislose Leben mit mir zu langweilig war. Das stürzte mich in arge Kümmernis, und ich unternahm kopflose Anstrengungen, um zu retten, was überhaupt nicht zu retten war. Die absurdeste Ausgeburt unter meinen Panikreaktionen war der Entschluss, den Führerschein zu erwerben, um als Autofahrer der mobilitätssüchtigen Dame etwas bieten zu können. „Not kennt kein Gebot“, sagte ich mir.

Aus freien Stücken hätte ich es nie unternommen, denn mir war seit vielen Jahren vollkommen klar, dass ich nicht nur zum Nichtraucher, Nichttänzer und Nichtsportler, sondern ebenso zum Nichtautofahrer geboren war. Also meldete ich mich zum Fahrunterricht an. Ich kam mir vor wie ein eingeschleuster Agent, der eine Sekte oder das Schulungszentrum einer feindlichen Macht ausforschen soll, eher noch wie ein Außerirdischer. Den Theoriestunden sah ich mich halbwegs gewachsen, jedenfalls konnte ich das mühsam Gelernte bis zur theoretischen Prüfung behalten. Unmittelbar danach hatte ich alles wieder vergessen.

In der Fahrpraxis hingegen vermochte ich nicht einmal solche kurzzeitigen Lernerfolge aufzuweisen. Schon beim Lenken stieß ich entschieden an meine Grenzen. Wie soll ein Mensch überhaupt gleichzeitig lenken, schalten, Pedale treten, auf Verkehrsschilder, Ampeln und den Straßenverkehr inklusive Fußgänger und auf die Fahrbahn stürzende Gegenstände achten können? Das geht nicht! Das hat die Natur nicht gewollt!

Problematisch war, neben meiner unbestrittenen Unfähigkeit, auch das mangelnde didaktische Geschick des Fahrlehrers. Dass ich nicht auf Anhieb so sicher fahren konnte wie er, machte er mir grob zum Vorwurf, anstatt mir schonend und einfühlsam über die so wenig artgerechte Hürde zu helfen. Mehr als einmal ließ er mich „rechts ranfahren“, um mich schreckensbleich zu fragen: „Wissen Sie, dass wir jetzt beide tot sein könnten?“

Was er damit meinte, verstand ich nicht, aber es irritierte mich. Es kam so weit, dass ich ihm das Lenken, Schalten et cetera ganz überließ, da es sich dann viel angenehmer fuhr und ich mich ungestörter mit ihm unterhalten konnte. Wir waren uns einig darin, dass die Welt nichts tauge. Als Gesprächspartner schätzte er mich sehr, als Fahrschüler, wie schon angedeutet, weniger. Bestimmt hat er deshalb später auf sein Honorar verzichtet.

Der technische Vorgang des Autofahrens vermochte mich nie zu überzeugen, bis heute nicht. Dieser Firlefanz mit den Pedalen, die auseinander halten soll, wer will! Gerechter Gott!

Erst während der dreißigsten Fahrstunde, als ich „rückwärts einparken“ lernen sollte, fand ich endlich zu mir selbst zurück. Mir platzte der Kragen, und ich stieg aus. Nie wieder habe ich mich ans Steuer gesetzt.

Hätten nur mehr Menschen diese Größe! Die Freundin war ich damals zwar los, doch es war besser so. Bereits die nächste war Autofahrerin, und seither hatte ich immer fahrtüchtige Gefährtinnen. Sogar Autobesitzer bin ich inzwischen geworden, bezahle Kfz-Versicherung und Ähnliches. Allerdings weiß ich nach wie vor kaum, wo die Hupe ist.