piwik no script img

Archiv-Artikel

„Ich bin von Gott gesandt“

POPBESTIE Hör doch Bushido, wenn du es leicht verdaulich magst! Anton Newcombe, als Mastermind des Brian Jonestown Massacre zuständig für den echt harten Scheiß, über Berliner Posen und seine Aufgabe als Missionar

Ein Mann, ein Wortschwall: Anton Newcombe

Auch er hat Berlin entdeckt: Anton Newcombe, Musiker, Kultfigur, Intelligenzbestie und einziges beständiges Mitglied des Brian Jonestown Massacre, lebt seit zwei Jahren, wenn er nicht gerade in Island oder New York ist, in der Schönhauser Allee, direkt über seinem Wohnzimmer, der 8mm Bar. Der 42-Jährige gelangte vor sechs Jahren zu zweifelhafter Berühmtheit: Der preisgekrönte Dokumentarfilm „Dig!“ folgte seiner Band und den zuerst befreundeten, dann verhassten Kollegen von The Dandy Warhols auf ihren sehr unterschiedlich verlaufenen Karrierewegen. Seitdem hat Newcombe seinen Ruf weg: das wahnsinnige Genie, das sich mit jedem anlegt und wahllos Drogen zu sich nimmt. Beim Treffen in der 8mm Bar raucht Newcombe immerhin Kette und leitet eine Renaissance des guten alten Bewusstseinsstroms ein. Ohne Punkt und Komma begleitet er einen durch die Geschichte seiner 1990 in San Francisco gegründeten Band, vergleicht er das Komponieren mit dem Malen, entführt einen in den Louvre, kehrt zurück zu Drogen, weiß was über YouTube und Arte, vergisst Burial, Chuck Berry, James Brown, Britney Spears nicht, erregt sich über Michael Jackson und lässt sich schließlich zu dem Bekenntnis hinreißen: „Bach ist der Größte.“ Das ist dann doch eine Überraschung. Man hätte eher erwartet, für Anton Newcombe ist nur einer der Größte: Anton Newcombe. TO

■ Brian Jonestown Massacre: „Who Killed Sgt. Pepper?“ (A Records/ Cargo), live am 6. Mai im Magnet

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Mr Newcombe, ich hatte Angst vor diesem Interview.

Anton Newcombe: Ach ja?

Hab ich denn Grund dazu?

Nein. Denn wer sich vor dem Tod fürchtet, kann kein Leben führen. [Zeigt seinen Arm, auf dem der Spruch als Tätowierung zu sehen ist.]

Ich habe keine Angst vor dem Tod …

Das ist hervorragend. Aber keine Sorge, ich bin ein höflicher Mensch. Ich bin so erzogen worden, zu fremden Menschen freundlich zu sein.

Das ist beruhigend, denn man hört allerhand von Ihnen: Sie beschimpfen Ihr Publikum, Ihre Bandkollegen und Journalisten. Sie sind auch schon mal tätlich geworden.

Menschen sind faul und wiederholen einfach, was sie anderswo lesen. Aber Sie werden feststellen: Ich bin ehrlich und geradeaus. Und ich jedenfalls habe keine Angst. Ich habe keine Angst, schlecht auszusehen oder falsch verstanden zu werden.

Sie haben nie Angst?

Doch, klar. Vor einem Jahr hatte ich noch Angst, weil der Präsident der sogenannten freien Welt ein gewisser George W. Bush war.

Klingt der rückkopplungsschwangere, lärmige Space-Rock auf Ihrer neuen Platte „Who Killed Sgt. Pepper?“ deshalb so furchterregend?

Nein. Eher deshalb, weil wir auf Pilzen waren.

Ihre Drogenprobleme sind also noch nicht überwunden?

In Deutschland nehme ich gar nichts. Ich trinke nicht. Ich kiffe nicht mal. Ich lebe einfach mein Leben hier. Ich bin ein Gast in diesem Land und genau so mag ich es.

Dass Sie nach Berlin gezogen sind, hat also nichts mit der Tradition zu tun, dass David Bowie, Iggy Pop, Lou Reed und Nick Cave hier gelebt haben?

Nein, gar nicht. Denn mein Album handelt vom Jetzt und ist für die Zukunft bestimmt. Die meisten, die mal großartig waren, die Beatles oder Lou Reed, die gab es nach 20 Jahren nicht mehr, oder sie haben nur noch Müll produziert. 20 Jahre später waren sie entweder tot oder wären es besser gewesen. Ich nicht, ich bin immer noch da. Ich hab 1990 angefangen, und meine Arbeit ist immer noch relevant. Zu viele sind nicht mehr daran interessiert, etwas zu erforschen, sind nicht mehr bereit, Fehler zu machen, sich in Gefahr zu begeben, wollen ihre Kunst nicht mehr mit tödlichem Ernst betreiben. Die mögen ihren Status und ihre berühmten Freunde, und sie müssen ihre Rechnungen zahlen. All diese Leute hatten skrupellose Manager und eine Karriere, die sie nicht mehr aufgeben wollten. Ich bin definitiv ehrlicher, als es Lou Reed auch in seiner Berliner Zeit jemals war.

Aber Sie stimmen zu, dass das Album ziemlich düster geworden ist?

Ja, das stimmt schon. Zugleich ist es aber auch sehr fröhlich und aufgeräumt. Tatsächlich glaube ich, das Album davor war sogar noch dunkler. Aber wir leben nun mal in dunklen Zeiten. Das hat aber nichts mit Berlin zu tun und erst recht nicht mit Bowies „Low“. Bei dem war das doch alles nur eine Pose.

Wenn es bei Ihnen keine Pose ist: Sind Sie ein solch getriebener Mensch, wie man denken muss, wenn man Ihre Musik hört?

Nein, ich bin nicht besessen. Ich bin Künstler, das ist mein Job. Ich erforsche Orte, vor denen andere Angst haben. Aber wenn du es lieber leicht verdaulich magst, dann hör weiter Tokio Hotel oder Bushido. Ich bin nun mal zuständig für den wirklich harten Scheiß. Und mein Ziel bei dieser Platte war, so viel Pilze und MDMA zu nehmen, bis ich mir selber vor Angst in die Hosen mache und ich in der Lage bin, die bösartigste Musik zu spielen, die jemals gespielt wurde. Und wenn man diese Musik hört, dann denkt man sich nicht: Oh, der Typ war aber drauf, das ist aber schräg. Nein, wenn der Song zu Ende ist, dann ist da ein Loch in dir.

In Amerika sagen die Leute, meine Musik klänge europäisch. Europäisch ist für die ein Synonym für alles, was sie nicht verstehen. Das ist doch faschistisch. Ich weiß, was Faschismus ist, und das ist nicht unbedingt der Skinhead an der Straßenecke. Wir reden hier von völlig legalem Faschismus. Die Menschen vergessen gerne, dass alles, was Hitler getan hat, völlig legal war, dass es den Gesetzen entsprochen hat. Und was passiert da draußen? Dasselbe, vielleicht auf einem anderen Niveau, aber im Prinzip genau dasselbe. Amerika ist ein technokratischer, von der Wirtschaft gesteuerter, faschistischer Staat, der durch die Globalisierung die ganze Welt beherrscht. Man muss sich doch nur mal Haiti anschauen, was da passiert angesichts dieser Katastrophe: Die drei Präsidenten Obama, Clinton und Bush versprechen, 100 Millionen Dollar zu spenden. Gut, denkt man da. Abgesehen davon, dass der New Yorker Bürgermeister Bloomberg die Gesetze hat ändern lassen, um sich noch einmal wählen zu lassen. Dann hat er für seine Wahlkampagne 134 Millionen Dollar seines eigenen Geldes ausgegeben, um einen Job zu kriegen, mit dem er 225.000 Dollar pro Jahr verdient. Das muss mir mal jemand erklären. Macht das Sinn? Für eine Jobbewerbung mehr Geld auszugeben als für ein ganzes, zerstörtes Land?

Sie regen sich aber leicht auf. Fühlen Sie sich missverstanden?

Ja, aber das ist in Ordnung. Andere benutzen das gerne als Ausrede. Aber ich finde es großartig, missverstanden zu werden. Wenn ich damit Probleme hätte, dann müsste ich auch damit Probleme haben, noch nicht Millionär zu sein. Denn das wird einem doch eingeredet, dass man es schaffen muss, dass man Bill Gates werden muss. Was mache ich falsch, dass ich noch nicht die Welt kontrolliere? Ich kann meine Familie ernähren, ich müsste nicht mehr arbeiten, aber ich arbeite gerne, ich vertreibe mir die Zeit mit meiner Arbeit.

Sie wirken sehr missionarisch.

Ja, ich bin ein Missionar. Das, was ich tue, ist mir sehr wichtig. Du musst nur mal meine Songs hören. Die handeln nicht von Mädchen. Die handeln von Göttern. Es geht um Götter, nicht Girls. Und selbst Jesus ist doch auch nur ein Euphemismus für Drogen. Und Bob Dylan ist doch eine Pussy, der seine Texte verschlüsselt, weil er sich nicht traut, die Wahrheit zu sagen. Ich bin da ganz geradeaus: Ich hasse diese Kultur des Ruhms, mein einziges Ziel als Künstler ist es, dieses Popkultur-Bestie zur Strecke zu bringen. Ich will sie tot sehen. Ich bin von Gott gesandt, um diese Welt zu zerstören.

Ist Ihre Band eine Religion, ein Kult?

Welche Band? Es gibt keine Band. Siehst du hier eine Band? Ich war es, der diese verfickte Platte gemacht hat. Ob Brian Jonestown Massacre ein Kult ist? Nein, das ist noch viel durchgeknallter als ein Kult. Weil es nichts gibt, an das man glauben kann. Man versteht es einfach. Oder man versteht es eben nicht. So oder so stellt man fest: Oh heilige Scheiße, das ist richtig gefährliche Musik. Das ist kein Heavy-Metal, das ist auch nicht dieser Marylin-Manson-Scheißdreck, das macht wirklich Angst. Nein, meine Musik ist wirklich gefährlich. Dieses Zeug kann Geisteskrankheiten bei kleinen Kindern auslösen, wenn es im Radio läuft. Diese Musik kann nicht kommerziell verwertet werden. Punkt.