: Das Weite gesucht
LITERATUR Aus 87 eingesandten Stücken hat die Jurorin Sigrid Löffler für das Deutsche Theater die drei besten ausgewählt. Am Samstag wurden sie in der „Langen Nacht der Autoren“ vorgestellt
VON BARBARA BEHRENDT
Ausschreibungen mit thematischer Vorgabe sind so eine Sache: Vor zwei Jahren hatte die Jurorin Elke Schmitter „Make me laugh!“ von den jungen Dramatikern gefordert, die bei der „Langen Nacht der Autoren“ am Deutschen Theater (DT) mitmachen wollten. Zu lachen gab es dann allerdings wenig. Diesmal machte die Literaturkritikerin Sigrid Löffler „Das Weite suchen“ zum Motto. Um Welthaltigkeit ging es ihr – eingesandt wurden aber 87 Stücke, die das oft „mit Eskapismus verwechseln“ oder „nicht über Seite-drei-Themen der Süddeutschen hinausgehen“, so Löffler in ihrer Eröffnungsrede bei den Autorentheatertagen, die jetzt mit der „Langen Nacht“ zu Ende gingen. Dramatiker setzen eben ihre eigenen Themen, bilanzierte die Jurorin.
„Großen sittlichen Ernst“ zeichne diesen Jahrgang aus, ein ganzes „Sündenregister“ von Themen hat Sigrid Löffler vorgefunden: Klimawandel, Internetmobbing, Flüchtlingspolitik, böse Banker, Ökobiedermeier. Ohne Pathos, ohne Sentimentalität – und ohne Ironie schrieben die jungen Autoren, die für die Teilnahme unter 40 sein mussten. „Es wird vielfältig gelitten am Mangel an Lebenssinn“, die Zeitstimmung biete keinen Anlass für Optimismus, es sei eine große Ratlosigkeit spürbar, ein mattes, mutloses Sich-Fügen.
Hilflos im falschen Leben fühlen sie sich, diese Dramenfiguren, und suchen doch nach dem großen Lebensglück – wie in Olivia Wenzels „exzess, mein liebling“, einem der drei von Löffler ausgewählten Texte. Kid hat sich mit 17 Jahren umgebracht und beobachtet nun das sinnlose Treiben der Großstadtmenschen. Sein Vater will mit seiner Glücksagentur die Menschen betören, seine Nachhilfelehrerin betäubt sich mit Drogen, deren narzisstische Mutter hat es mit der Klangtherapie. Die junge Britin Lily Sykes hat das Stück auf der Hinterbühne in eine esoterische Klangwelt verlegt: In einem Matratzenreich versinken die Schauspieler, am Rand bringen zwei Frauen goldene Schalen zum Klingen. Dass eine Werkstattinszenierung, die nicht länger als eine Stunde sein darf (so die Spielregeln der „Langen Nacht“), deutliche Akzente setzt und die Realität einer Figur ins Zentrum stellt, ist nachvollziehbar. Weniger plausibel erscheint der betuliche Ton, den der tote Junge hier anstimmt. Die Dialogpointen, die bösen kleinen Wortwitze des Stücks rauschen oft ungehört vorbei.
Epischer dagegen Uta Bierbaums „die schweizer krankheit“, präsentiert in den Kammerspielen des Senftenberger Intendanten Sewan Latchinian. Nicht aus einer Handlung, sondern den Monologen der Figuren entwickelt Bierbaum ihr Stück, das ein Leiden verhandelt: Heimweh. Ein Taxifahrer, eine Schauspielerin und ein unglücklich verliebtes Mädchen treffen zufällig aufeinander; ihr Kennenlernen mündet in einen brutalen Exzess. Ein konstruierter Plot mit expressionistisch überzeichnetem Höhepunkt, den der Regisseur nüchtern angeht: In ein enges Schaufenster hat er die Figuren gepfercht, so dass sie nichts können als reden. Sein Versuch, das blutige, hysterische Finale herunterzukühlen, reduziert das Stück vollends aufs Statuarische.
Was Latchinian sparsam einsetzt, liefert Martin Laberenz auf der großen Bühne im Übermaß: Regieeinfälle. Matthias Naumanns „Schwäne des Kapitalismus“, eine wortreiche, verkopfte, aber nicht unkluge Kritik unserer globalen Geldgesellschaft, verwirbelt und verwitzelt er zu einem Mix aus Pollesch-Imitaten, Boulevardkomödie, Revueanleihen sowie einigen Originalzitaten aus dem Stück selbst und aus Löfflers Rede. Mit diesem grausamen Jux landete Laberenz den größten Publikumserfolg des Abends. Irritiert schien der Autor, als er die Beifallsstürme entgegennahm – mit seinem Text hatte das ja alles kaum etwas zu tun. Der Regie ist ein Sinn für schrägen Witz nicht abzusprechen. Dass bei einem Autorenfestival aber ausgerechnet die Inszenierung abräumt, die den Text nur auf die Schippe nimmt, stimmt doch sehr nachdenklich.