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Archiv-Artikel

Schulkampf im Viertel

Gesamtschule Mitte wehrt sich gegen Seiteneinsteiger-Klassen: Lemke-Zusage an die 6-jährige Grundschule Alter Postweg gefährdet Integrationskonzept, sagt das Lehrerkollegium

Von kawe
„Wir nehmen die SchülerInnen des Alten Postwegs gern auf – wenn sie schon in der 5. Klasse zu uns kommen“

Bremen taz ■ „Mit Entsetzen haben wir zur Kenntnis genommen, dass es unserer Schulleitung nicht gelungen ist, die pädagogisch in hohem Maße kontraproduktive Entscheidung, eine 7. Klasse des Alten Postwegs an der Gesamtschule Mitte weiter zu führen, abzuwenden“, mit diesem Satz beginnt ein Protestbrief des Kollegiums der Gesamtschule Mitte an die Schulverwaltung, und die Empörung scheint das nachgiebige Verhalten der eigenen Schulleitung einzubeziehen. „Alter Postweg“ ist eine der wenigen in Bremen noch anerkannten sechsjährigen Grundschulen, und seit der Abschaffung der „Orientierungsstufe“ stellt sich die Frage, wohin die Kinder aus dem Alten Postweg in der 7. Klasse gehen sollen.

Vor zwei Jahren hatte Bildungssenator Willi Lemke den Eltern zugesagt, ihre Kinder könnten auf einer Gesamtschule weiter „integriert“ unterrichtet werden, also nicht aufgeteilt nach Gymnasialkindern und anderen. Da die Gymnasien inzwischen wieder mit der 5. Klasse beginnen, wäre ein Wechsel in die Schnellläufer-Klassen der Gymnasien schwierig, und wenn in der integrierten sechsjährigen Grundschule nur die Kinder bleiben würden, denen die Eltern kein Abitur zutrauen, dann wäre der Sinn der „Integration“ zerstört. Der Gedanke liegt also auf der Hand, dass die sechsjährigen Grundschulen sinnvoller Weise in den Gesamtschulen fortgeführt werden – aber das, so beklagt sich das Kollegium der Gesamtschule Mitte, wurde nicht mit den zuständigen Gremien der Gesamtschule besprochen, sondern „von oben angeordnet“. Gerade in den Jahrgängen fünf und sechs, also vor Einsetzen der Pubertät, würden an der Gesamtschule die SchülerInnen zu einem „sozialverantwortlichen Team“ zusammengeführt. Wenn dann plötzlich in der 7. Klasse eine ganze Gruppe von außen dazu stoße, dann störe das das „Konzept der Gesamtschule“. Bekäme die Gesamtschule regelmäßig eine Klasse aus dem Alten Postweg dazu, kann sie im 5. Jahrgang eine Klasse weniger aufnehmen – jetzt schon müssen 50 Prozent der angemeldeten Kinder per Los abgewiesen werden. Und schließlich, das ist eine unausgesprochene Sorge: Wenn die Kinder über den Alten Postweg einen garantierten Platz in der Gesamtschule haben, die „echten“ Anmeldungen zur 5. Klasse aber ein Risiko von 50 Prozent eingehen, dann wäre der Umweg über den Alten Postweg der sichere Weg auf die Gesamtschule Mitte – das Kollegium sieht das Konzept der Gesamtschule „massiv gestört“ und will die „Anweisung nicht akzeptieren“. Schließlich will man nicht für die „Flickschusterei“ der Bildungspolitik das eigene Profil opfern: „Wenn dauerhaft im 7. Jahrgang eine Klasse integriert werden soll, kann dieses Konzept nicht mehr umgesetzt werden.“

Dass das Problem bei anderen sechsjährigen Grundschulen nicht in derselben Form auftritt, hängt damit zusammen, dass aufnehmende Gesamtschulen nicht überfüllt sind wie die GSM, sondern eher dankbar für zusätzliche Schüler, weiß Cornelia von Ilsemann, Abteilungsleiterin in Lemkes Bildungsbehörde. Sie selber habe an der Max-Brauer-Schule in Hamburg gearbeitet, die Kinder von der 1. bis zur 13. Klasse integriert, stehe also durchaus zu dem Ansatz der GSM. Die Gesamtschule Mitte müsse eben mit der Grundschule ein „gemeinsames pädagogisches Konzept“ entwickeln, dass mögliche Brüche verringert, sagt sie. Das hätten die beiden Schulen bisher versäumt. Die Lösung könne nicht im Abschied von der 6-jährigen Grundschule gesucht werden. Darauf würde der Vorschlag des Kollegiums der Gesamtschule Mitte hinauslaufen: „Wir nehmen die SchülerInnen des Alten Postwegs gern auf, wenn sie in der 5. Klasse zu uns kommen“, heißt es in dem Brief der GSM. Nur wenn die Lerngruppen in der 5. Klasse begännen, könne eine „gedeihliche Arbeits- und Sozialatmosphäre“ und Vertrauen geschaffen werden. Zwei Jahre lang habe man Erfahrungen sammeln können mit einer „Seiteneinsteigerklasse, deren Mitglieder, so nett sie einzeln sind, als Gruppe von Abgrenzung und Regelzurückweisung geprägt waren“. Darunter leide die „Sozialkompetenz der Gruppe“ erheblich. Bildungssenator Lemke habe offenbar, als er die Zusage machte, „diese Problematik nicht überblickt“. kawe