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Archiv-Artikel

Die Kastration des Casanova

Die Zeiten sind doch schlechter, als man denkt: Lasse Hallström nimmt dem Sex den Stachel und schickt „Casanova“ auf die Suche nach der einen großen wahren Liebe

Jahrelang wurde das Drehbuch in Hollywoods Studios herumgereicht, nur mit zitternden Händen angefasst und weggeworfen wie ein brennendes Streichholz. Niemand wollte die Hauptrolle, bis Heath Ledger den heißen Part übernahm. Und nun, bei der Oscar-Verleihung werden sie alle … aber halt, wir sind im falschen Film. Heath Ledger ist der Held, keine Frage, doch hier geht es nicht um schwule Cowboys am „Brokeback Mountain“, sondern lediglich um Casanova, der Welt größten Liebhaber, den sprichwörtlichen Erotomanen, dessen Name Synonym wurde für hemmungslos ausgelebten Geschlechtstrieb. Der den im Kern modernen Gedanken der seriellen Monogamie reichlich weit fasste und mit seiner Kollektion aus Schafsdärmen gefertigter Kondome halb Europa die Unschuld nahm. Der Mann hatte zu seiner Zeit, dem 18. Jahrhundert, zwar durchaus die Sittenpolizei auf dem Hals. Aber heute sind die promisken Abenteuer des Herrn Casanova doch eher ein Fall für den Kinderkanal. Zumindest, wenn sie von Lasse Hallström verfilmt werden. Im Auftrag von Disney.

Casanova war ein eitler Schmeichler und pfiffiger Trickser, so kam er zu seinen Erfolgen, aber von Hallström hätte er noch was lernen können. Brachte uns Fellini mit Donald Sutherland den alternden Casanova als „blöd glotzenden Gockel“, als syphilitische Wachsfigur, so beschränkt sich Hallström auf dessen Jugendjahre. Das schöne Venedig bildet die Kulisse für einen Film, der ungefähr so aufregend verrucht ausfällt wie „Die Abenteuer des jungen Indiana Jones“. Der Trick: Der potente Lebemann sehnte sich doch nur nach der einen wahren Liebe als der, wie es Casanova im Film sagt, „Kulmination aller vorigen Lieben“. Das ist als These gar nicht uninteressant. Nur hat er diese Liebe nie gefunden. Hallström schafft Abhilfe. Sie heißt Francesca (Sienna Miller), schreibt feministische Traktate und zeigt Casanova erst mal die kalte Schulter.

Die simple Gleichung dahinter: Der Feminismus akzeptiert eben nur die wahre, das heißt exklusive Liebe, nicht aber den Casanovismus. Ein Ressentiment, das sich auf wundersame Weise mit dem Hollywoods deckt, aber dem ganzen Lebensstilkonzept auch die reale Grenze weist, ist doch Casanovas Problem das jedes Casanovas: der eigene Ruf. Schon in jungen Jahren läuft er durch Venedig als lebende Legende. Straßentheater, an denen er schmunzelnd vorbeigeht, künden von seinen Missetaten. Nebenbei ist ihm selbstverständlich auch die kirchliche Inquisition auf den Fersen.

So sorglos Hallström hier mit historischen Fakten umgeht, so zielgenau betreibt er die Umschreibung des Mythos. Der geläuterte Libertin braucht einen Identitätswechsel. Nichts leichter als das. Casanova ist Autor. Und Venedig ein ständiger Maskenball, perfekte Kulisse für eine karnevaleske Verwechslungskomödie ohne Sinn und Verstand, aber dafür mit bunten Kostümen, wilden Verfolgungsjagden und Spiegelfechtereien. In den Hauptrollen: ein leidlich promisker junger Mann – zu Anfang treibt es Casanova in der Gondel, auf dem Klavier, auch mal mit zwei Nonnen, freilich ohne auch nur ein Fitzelchen nackter Haut preiszugeben – als romantischer Held; sowie sein kirchlicher Gegenspieler in Gestalt von Jeremy Irons, mit blondroter Perücke und lila Handschuhen ein faszinierendes Amalgam von Körperfeindlichkeit und Perversion. Bei Fellini hätte er den Casanova gespielt.

Die diversen Rochaden und Plot-Twists können ganz gut unterhalten. Das altbewährte Rezept: Angelsachsen irren durch Italien und haben jede Menge Spaß. Den Dialogen hat ein ungenannter Tom Stoppard, Autor von „Shakespeare in Love“, spürbar auf die Sprünge geholfen. Von Casanova bleibt dabei nicht mehr als ein schales Surrogat – fast schon logische Konsequenz eines Schriftstellerruhms, der auf nichts gründet als der eigenen Autobiografie. Wen kümmert’s, wer schreibt? Ungemein interessanter ist in dem Ganzen die Präsenz von Heath Ledger. Sein männlich-hübsches Gesicht, bestes Argument gegen die Bigotten dieser Welt, ist derzeit die Allzweckwaffe im Kampf um den Sex. Er nimmt ihm den Stachel, im schwulen Western wie in der retrosexuellen Abenteuerromanze. Am Ende ist auch „Casanova“ nur eine Liebesgeschichte.

PHILIP BÜHLER

„Casanova“, Regie: Lasse Hallström. Mit Heath Ledger, Sienna Miller, Jeremy Irons u. a., USA 2005, 108 Min.