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Archiv-Artikel

Stoppen Sie diesen Irrsinn!

OFFENER BRIEF Schauspieler, Filmemacher und Schriftsteller fordern ein Ende der Gewalt in der Türkei. Die taz dokumentiert den Brief des Regisseurs Fatih Akin an den türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül

An den Staatspräsidenten der Republik Türkei.

Sehr geehrter Herr Gül,

ich schreibe Ihnen, um Sie über die Ereignisse vom Samstagabend zu informieren, da die türkischen Medien kaum bis gar nicht darüber berichtet haben. Samstagabend wurden in Istanbul erneut Hunderte von Zivilisten durch Polizeigewalt verletzt. Ein 14-jähriger Jugendlicher wurde von einer Tränengaspatrone am Kopf getroffen und hat Gehirnblutungen erlitten. Er ist nach einer Operation in ein künstliches Koma versetzt worden und schwebt in Lebensgefahr. Freiwillige Ärzte, die verletzten Demonstranten helfen wollten, wurden wegen Terrorverdacht festgenommen. Provisorische Lazarette wurden mit Tränengas beschossen. Anwälte, die gerufen wurden, festgenommene Demonstranten zu verteidigen, wurden ebenfalls festgenommen. Die Polizei feuerte Tränengaspatronen in geschlossene Räume, in denen sich Kinder aufgehalten haben.

Die bedrohten und eingeschüchterten türkischen Nachrichtensender zeigten währenddessen belanglose Dokumentarfilme. Diejenigen, die versuchen, über die Ereignisse zu berichten, werden mit hohen Geldstrafen und anderen Mitteln versucht zum Schweigen zu bringen. Eine Trauerfeier für Ethem Sarisülük, der bei den Demonstrationen ums Leben gekommen ist, wurde verboten!

Stattdessen darf ein Staatssekretär hervortreten und alle Demonstranten, die am Taksim-Platz erschienen sind, als Terroristen bezeichnen.

Und Sie, verehrter Staatspräsident, Sie schweigen! Vor zehn Jahren sind Sie und Ihre Partei mit dem Versprechen angetreten, sich für die Grund- und Bürgerrechte eines jeden in der Türkei einzusetzen. Ich möchte nicht glauben, dass Sie sich um der Macht wegen von Ihrem Gewissen verabschiedet haben.

Ich appelliere an Ihr Gewissen: Stoppen Sie diesen Irrsinn!

FATIH AKIN