: Bewohner unter Verschluss
FLÜCHTLINGE Die AWO muss nicht für den Polizeieinsatz vor einer Unterkunft aufkommen. Viele Bewohner bleiben aber unter Quarantäne
Im Fall des am vergangenen Freitag unter Quarantäne gestellten Flüchtlingsheims in Wittenau hat die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als Betreiber einen Teilerfolg vor dem Verwaltungsgericht errungen. „Das Gericht hat per Eilbeschluss verfügt, dass die Entscheidung des Gesundheitsamtes, ein ganzes Heim wegen acht an Windpocken erkrankter Kinder von der Außenwelt abzusondern, falsch war“, sagte Manfred Nowak von der AWO am Dienstag über das Urteil vom Montagabend. Nachdem in der Unterkunft acht Kinder an Windpocken erkrankt waren, hatte das Gesundheitsamt die Quarantäne angeordnet. Seitdem überwachen zwei Polizeibeamte das Haus rund um die Uhr. Laut Nowak teilte das Gericht die Auffassung, dass die Polizeimaßnahme Freiheitsberaubung sei.
88 bleiben im Haus
Der Gesundheitsstadtrat Andreas Höhne (SPD) widerspricht dieser Darstellung: „Über die Rechtmäßigkeit von Quarantäne und Polizeieinsatz hat das Verwaltungsgericht gar nicht entschieden.“ Es habe lediglich geurteilt, dass die AWO – entgegen der Auffassung des Gesundheitsamts – nicht verpflichtet werden könne, eine Quarantäne zu überwachen – „sondern wir“. Die Polizei stehe deshalb weiterhin vor dem Haus, die 80 nicht untersuchten sowie die acht erkrankten Bewohner dürfen das Haus nicht verlassen. „Wir haben die Quarantäne erlassen, um die Wittenauer Bevölkerung vor einer Gesundheitsgefahr zu schützen. Wohlbemerkt vor einer Krankheit, nicht vor Asylbewerbern.“
Das Gesundheitsamt hat damit auch auf den Druck von Anwohnern reagiert, die sich durch die Windpockenfälle in ihrer Überzeugung bestätigt sehen, dass ein Asylbewerberheim nicht in ihren beschaulichen Ortsteil gehöre. Unbekannte hatten Plakate aufgehängt, die vor einer Gesundheitsgefahr durch Asylbewerber warnten.
Mit der Polizei vor einem Haus mit kranken Kindern hat das Bezirksamt Reinickendorf zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten den Bürgern signalisiert, dass von Asylbewerbern in ihrem Bezirk eine Gefahr ausgehe. Im Mai hatte Baustadtrat Martin Lambert (CDU) in einem Brief an Anwohner seine Ablehnung gegen eine neue Notunterkunft in einem Vivantes-Klinikgebäude zum Ausdruck gebracht und den Bürgern zum Protestieren private Telefonnummern von Mitarbeiterinnen des Betreibers rausgegeben.
Im aktuellen Fall schickt es die Botschaft aus, dass Eltern in einem Asylbewerberheim nicht wie andere Eltern verantwortlich mit ihren erkrankten Kindern umgehen. Dabei geht es bei Windpocken um eine Krankheit, an der viele Kinder erkranken.
Wenn das Bezirksamt Reinickendorf seine Bürger vor den hochinfektiösen Windpocken bewahren wollte, müsste es Schulen und Kitas schließen und die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbieten. Denn überall dort kann man sich anstecken. MARINA MAI