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Archiv-Artikel

Popanz statt Protest

Aufstand gegen die demokratiefreie Zone während der Castor-Transporte im Wendland: Aus Sicht der Atomkraftgegner belegen neue Zahlen, dass die Demonstrations-Verbote rechtswidrig sind

von Kai Schöneberg

Für Ulrike Donat ist die Sache klar: „Wegen drohender Gewalt darf man das Versammlungsrecht einschränken, wenn es sich aber nur um Unbequemlichkeiten handelt, halte ich das für verfassungswidrig.“ Wegen der Frage, wie gefährlich die Castor-Demonstranten wirklich sind, reichte die Hamburger Anwältin vorm Bundesverfassungsgericht Beschwerde ein. Dabei geht es darum, ob das seit Jahren im Vorfeld der Transporte erlassene Demonstrationsverbot in einem 20 Kilometer langen und bis zu einem Kilometer breiten Korridor rechtmäßig ist. Mit der so genannten „Allgemeinverfügung“ setzt die Polizei aufgrund einer „Gefahrenprognose“ in dieser Gegend das Grundgesetz beinahe außer Kraft. Wer 24 Stunden vor dem Transport im Korridor geschnappt wird, hat keine guten Karten. Eine demokratiefreie Zone mit tausenden Polizisten nennt das die Bürgerinitiative (BI) in Lüchow-Dannenberg.

Aufschlussreich für das Verfahren dürfte die Antwort des niedersächsischen Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen sein: Danach gab es im Umfeld der Transporte seit 2001 insgesamt 2.640 Ingewahrsamnahmen und 827 Ermittlungsverfahren. Davon wurden 774 eingestellt, Verurteilungen gab es kaum, darunter nur eine Freiheitsstrafe. Ebenso kam heraus, dass zwischen 2002 und 2004 53 Verfahren gegen Polizisten eingeleitet wurden, die auch zu Schadenersatzzahlungen führten.

Die Zahlen zeigten „deutlich, wie unbegründet die Aushöhlung der Grundrechte durch die schikanösen Versammlungsverbote sind“, ärgert sich die BI. „Da wird ein Popanz aufgebaut“, findet der Grüne Ralf Briese. “Während sich die meisten Protestler absolut rechtskonform und gewaltfrei verhalten, hat der Versuch der Polizei, die Demonstranten zu kriminalisieren, keine empirische Grundlage“. Auch Heiner Bartling, zwischen 1998 und 2003 als SPD-Innenminister selbst für die Castor-Transporte verantwortlich, sieht die Demonstrationsverbote inzwischen kritischer. „Es kommen ja nicht nur immer weniger Protestler, sondern auch die Gewaltbereitschaft Einzelner nimmt ab“, sagt Bartling. Deshalb ist er gegen jeden Automatismus. Die Gefahrenprognose müsse bei „jedem Transport neu beurteilt werden“.

Das Innenministerium beurteilt die Lage naturgemäß anders: „Dass die Gefahrenprognose gerechtfertigt ist, hat bislang jedes Gericht bestätigt“, sagt Sprecher Klaus Engemann. Bereits vor fünf Jahren sei ein Verfahren gegen das Demonstrationsverbot im Wendland vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Von 626 Bußgeldverfahren seit 2001 hätten 626 zu einem Bescheid geführt. „Die Zahl der Straftaten ist aber gar nicht ausschlaggebend für die Allgemeinverfügung“, sagt Engemann. Entscheidend sei, ob die Gefährlichkeit der Straftaten den Transport behindern könne. Engemann: „Ohne Demonstrationsverbot müssten wir den Transport in ganz Niedersachsen mit Polizeiketten sichern“.

„Wenn sich ein Demonstrant an den Schienen festkettet, lautet die Anklage ‚gefährlicher Eingriff in den Schienenverkehr‘“, erläutert Anwältin Donat – ein besonders schweres Vergehen, auf das bis zu fünf Jahre Gefängnis droht. Donat: „Verurteilt wird aber nur wegen ‚Störung öffentlicher Betriebe‘– für mich ist das grober Unfug.“ Die Castor-Demonstrationen haben für Donat gezeigt, dass „spätestens seit dem 11. September“ Gewaltfreiheit ganz oben auf der Protest-Agenda stehe. Donat sieht das sehr grundsätzlich: „Es ist ein Recht des Bürgers, gegen politische Fehlentscheidungen auf der Straße zu demonstrieren“.