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Archiv-Artikel

„Ein Karikaturist ist wie ein Pilot“

Der 43-jährige Karikaturist Amr Selim, bekannt für seine regimekritischen Arbeiten, wurde vom unabhängigen Berufsverband der ägyptischen Journalisten vergangenes Jahr als bester Karikaturist des Landes ausgezeichnet

taz: Was halten Sie von den Karikaturen Ihrer dänischen Kollegen?

Amr Selim: Ich habe sie mir angesehen. Ich verstehe die ganze Aufregung darum nicht. Es handelte sich um einen Karikaturenwettbewerb zum Propheten Muhammed. Und dieser Wettbewerb hat am Ende sehr negative, aber auch positive Darstellungen produziert. Jetzt nutzen die Regierungen arabischer und islamischer Länder die Karikaturen aus, um zu zeigen, dass die Regierungen islamisch sind und den Propheten verteidigen. Sie geben vor, mit dem beleidigten Glauben der Menschen zu sympathisieren, um deren Sympathie zu bekommen. Die Menschen hier sind über die miserable Lage in der sie leben mit steigenden Preisen und sinkendem Lebensstandard niedergeschlagen und wütend. Die Karikaturen wurden benutzt, um Dampf abzulassen.

Haben Sie als arabischer Karikaturist rote Linien, die Sie nicht überschreiten?

Für einen Künstler sollte es keine roten Linien geben. Aber in der Realität unterscheiden sich diese Linien von Ort zu Ort oder von Zeitung zu Zeitung. Manchmal gibt es redaktionelle rote Linien, etwa nicht den Präsidenten Hosni Mubarak anzugreifen. Manchmal sind die roten Linien nur vorübergehend. Sie sind variabel. In meiner Zeitung Destour gibt es keine roten Linien. Vielleicht verpasse ich mir manchmal selber welche, gemäß meiner Erziehung. Das ist aber eine persönliche Angelegenheit.

Was sagen Sie zu der Reaktion auf die Zeichnungen?

Die meisten, die da ihrem Ärger Luft gemacht haben, haben die Karikaturen nie gesehen. Ich glaube, dass die Leute einfach krank sind von den Umständen, in denen sie leben. Sie haben den Glauben an alles verloren, außer an Gott. Das ist auch der Grund, warum die islamistischen Muslimbrüder bei den vergangenen Parlamentswahlen in Ägypten so gut abgeschnitten haben. Die dänische Zeitung hat sich entschuldigt, und so haben es auch viele Dänen getan. Es ist falsch, sich damit nicht zufrieden zu geben. Wenn Europa seine Karten ausspielt, dann sind wir die Verlierer. In Dänemark gibt es eine Pressefreiheit, und sie haben die Bilder veröffentlicht, ohne sich vielleicht über die Konsequenzen bewusst zu sein, und inzwischen haben sie sich entschuldigt. Was soll jetzt passieren? Sollen wir sie angreifen und ihr Land besetzten? Wir verhalten uns wie eine Herde. Ein Nachbar sagt, sie haben unseren Propheten beleidigt, du wirst sauer und gehst demonstrieren. Im Westen würde man zunächst den Wahrheitsgehalt und die Entstehungsgeschichte der Geschichte abklopfen und sich seine Position überlegen, bevor man loszieht und seine Verärgerung zum Ausdruck bringt. Aber ich glaube auch, dass das Ganze langsam auslaufen wird.

Hat eine Ihrer Karikaturen schon einmal starke Reaktionen hervorgerufen?

In meiner Zeitung Destour möchte ich Tabus brechen und die roten Linien überschreiten. Ich kann den Präsidenten von vorn und von hinten zeichnen. Wir erlauben uns Dinge, die sich andere nicht erlauben. Es gibt hier aber immer noch viele Zeitungen, die uns versuchen vorzuschreiben, wie wir den Präsidenten zu zeichnen haben. Ich habe früher die europäischen Karikaturisten beneidet, die schon immer ihre Herrscher kritisieren konnten, auch wenn sie noch lebten. Ich habe einmal eine Titelkarikatur für die ägyptische Monatszeitschrift Der Linke über das Regime gezeichnet. Ich bin dann nachts von der Druckerei angerufen worden. Sie sagten, die Staatssicherheit hätte Bedenken geäußert. Ich habe den Chefredakteur angerufen, und der hat dann beschlossen, die Titelseite weiß zu drucken. Später stellte es sich heraus, dass der Besitzer der Druckerei selbst Bedenken hatte und in Eigeninitiative gehandelt hatte. Natürlich haben wir die Druckerei gewechselt.

Hat sich die Situation der arabischen Karikaturisten in letzter Zeit verändert?

Wir kämpfen für unsere Pressefreiheit, aber wir sind nicht mit ihr aufgewachsen und das beeinflusst unser Denken. Die nächste Generation wird mit ihr aufwachsen und sie wird die Freiheit mehr ausnutzen. Ein Karikaturist ist wie ein Pilot. Wenn man ihn lässt, kann er so hoch fliegen, wie er will. Ich fliege so hoch, wie ich will in meiner Zeitung Destour. In einem anderen staatlichen Magazin, Rose el-Yusuf, für das ich auch arbeite, muss man tiefer fliegen, um nicht vom Radar abgefangen zu werden.

INTERVIEW: KARIM EL-GAWHARY