JAN FEDDERSEN ÜBER PARALLELGESELLSCHAFTMÜDIGKEITSZUSTÄNDE IM ANGESICHT NEUKÖLLNS UND EINE FORDERUNG NACH SCHLUSS DER SOGENANNTEN ISLAMDEBATTE
: Dauerverlobung im behaglichen Mittelmaß

Als wir uns in dieser Teestube oberhalb des Einkaufszentrums trafen, lief dort wie immer auf einem Bildschirm das Sky-Programm, Fußball, Zweite Liga. Ayla verdreht die Augen: Nächstes Mal suche sie die Lokalität aus, garantiert liefe das auf die Bar eines gemischtgeschlechtlichen Harems hinaus. Und lachte dabei! Ayla ist 44 Jahre alt, ist von berückend robuster Schönheit, trägt ihr Haar offen und auf jeden Fall kein Kopftuch, es sei denn, betont sie, es schmücke sie wie einst Audrey Hepburn. Zieht an ihrer Zigarette, lobt die Rauchfreiheit in diesem Haus und wendet sich mir persönlich zu.

Sie sagt, diese ganze Islamdebatte hänge ihr zum Hals raus. Ich bin verblüfft. Mir nämlich auch. Fährt fort, indem sie sich fast am Qualm verschluckt, ehe sie wütend flüstert: All die Frauen, die jetzt plötzlich Hasspredigerinnen gescholten würden, hätten doch erst eine Diskussion angestiftet, die das Private im Migrantischen erst wahrnehmbar machte. Okay, das sei grell gewesen, ab und zu. Aber ihr habe es geholfen, und zwar existenziell. Lebt jetzt mit einem Iraner zusammen, in Dauerverlobung und samt ihren zwei und seinen drei Kindern. Aber diese Islamdebatte, findet sie, sei doch rechthaberisch – und jene, die immer alles akademische Wissen auf ihrer Seite wüssten, die, spuckt sie aus, vom ganz hohen Schiedsrichterturm alles dis-kur-siv schieden – sie sagt dieses Wort wirklich mit gewisser Verachtung für das Theoretische in der Blindheit für das Praktische.

Nein, Ayla möchte, dass man Fakten zur Kenntnis zu nehmen beginne. Wer partout Dekaden bräuchte, um in der neuen, der deutschen Kultur anzukommen, wer sich nicht mitgenommen fühlt und nicht abgeholt, der solle es bleiben lassen. Was sie aber keineswegs mehr goutieren wolle, sei diese giftig herablassende Art, mit der all die Keleks, Ates und Hirsi Alis behandelt werden. Es seien im Grunde Jeanne d’Arcs der Neuzeit, Heinrich Heines auf zeitgenössisch, vielleicht nicht literarisch, aber in der ätzenden Kritik doch vergleichbar. Sie darf diesen Vergleich anstellen, sie ist Germanistin und außergewöhnlich klug überhaupt.

Sie guckt mir jetzt tief in die Augen und neckt mich. Warum wohnst du noch in Neukölln? Weshalb machst du es nicht wie ich – aus der gefühlten Armut raus ins behagliche Mittelmaß, etwa nach Schöneberg? Ich mag aber dieses, mein Viertel. Es mag brodeln und nach dem Tauwetter des Winters ausgesprochen dreckig aussehen, aber die Nachbarn und anderen, die man so kennt, denen wäre doch nicht geholfen, zögen alle weg, die mehr als Hartz IV kassieren.

Ayla kann herzlos sein, aber sie ist eine strenge Tochter eines nicht minder strengen Vaters, denn sie zeigt mit dem Finger ins Draußen: Klar, solche Teestuben sind fein, Heimatbühnen quasi, aber auf die Dauer setzt sie doch eher auf Vermischung denn auf Separation und sei nicht mit viel Geld zurückzubringen in ihren Kiez, in dem sie aufwuchs. Neukölln sagt sie, war immer etwas Besonderes, und das darf es bleiben, wenngleich ohne sie.

Ayla trinkt aus. Sie will Neukölln als gute Erinnerung behalten. Sollen die Leute doch glauben, das Leben dort habe nur mit Gewalt und Nervosität zu tun. Sie schwört, das sie nun müde sei. Sie hat ja wahrscheinlich recht. Das Leben geht weiter, ein Wort wie Islamophobie und das von der Unreformierbarkeit des Islam sind immer papiern. Der Rest kann ein gediegenes Leben sein. Wer es nicht nutze, so Ayla, hat Pech gehabt. Inschallah! JAN FEDDERSEN

Hinweis: PARALLELGESELLSCHAFT Fragen zum Mittelmaß? kolumne@taz.de Montag: David Denk FRAUEN