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Der blanke Horror

Der Filmemacher Christoph Böll dreht in Sprockhövel einen Gruselfilm mit Jugendlichen – und kolportiert nebenbei eine fast vergessene Legende

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Sprockhövel ist eine angenehme Stadt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass man so gut wie nie etwas von ihr hört. In den Nachrichten taucht das hügelig-grüne Stück Land am Rande des Ruhrgebiets nicht auf, die Menschen dort leben ihr Leben unauffällig und ruhig, sind im Gegensatz zu den meisten Zeitgenossen also geradezu sympathisch. Doch mit der Beschaulichkeit wird es in Sprockhövel bald ein jähes Ende nehmen. Denn was immer auch geschieht – es wird schaurig.

Wann genau sich Angst und Schrecken über die Stadt legen, ist noch ungewiss. Sicher ist bisher nur, wer den Schrecken verbreiten wird: ein Mann. Er heißt Christoph Böll, lebt seit einiger Zeit in Sprockhövel und wird von Journalisten gerne als Neffe des bekannten Schriftstellers Siewissenschon beschrieben. Obschon er sich doch als Filmregisseur inzwischen selbst einen beträchtlichen Namen gemacht hat. Natürlich, es gab auch Flops: die Sisi-Verfilmung Anfang der 1990er-Jahre zum Beispiel, ein Kassenhüter. Danach wurde es etwas ruhiger um Christoph Böll.

Im vergangenen Jahr begann er dann eine Zusammenarbeit mit der Stadt, bot bei den Jugendkulturtagen an, einen Film mit Jugendlichen zu drehen. Zehn Mädchen und Jungen werkeln seither an ihrem cineastischen Erstling, und auch die Frage, welches Genre es denn sein soll, ist inzwischen geklärt. Ein paar der 13- bis 15-Jährigen hätten gerne eine Komödie gedreht, andere ein Drama. Durchgesetzt haben sich aber die Horror-Fans, weshalb man nun förmlich Mütter kreischen hört, aus Angst ihre Kinder könnten bald womöglich nicht mehr ruhig schlafen. Doch bisher habe niemand Bedenken geäußert, erzählt Stefan Keim, der aus den Ideen und Textversatzstücken der Jugendlichen ein Drehbuch gezimmert hat.

Vielleicht liegt es aber auch am Plot, der mehr an Grusel- als an Horrorfilme erinnert. Und bei dem die Jugendlichen Wert darauf legen, nicht zu schnell zu sterben. Wenngleich Keim sagt, dass es sich hier nicht um irgendeine „Fünf-Freunde-Geschichte“ handle. Die Story ist flugs erzählt: Eine Gruppe Jugendlicher besucht mit ihrem Lehrer, der ein Faible für Gruselgeschichten hat, ein altes Haus, um dort eine schaurige Nacht zu verbingen. Schaurig, bloß schaurig! Und nicht so grässlich, wie sie dann werden soll. Denn im Haus scheint der alte Thepass zu spuken, womit Keim und Böll nicht nur Lokalkolorit beimengen, sondern auch eine fast vergessene Legende kolportieren.

Thepass hieß ein Bergmann, der in den 1920er Jahren spurlos verschwand. Und da er nie wiedergefunden wurde, hieß es fortan, wenn die Zeit unter Tage das Gebälk knarren ließ: „Hörste? Der olle Thepass is‘ am Schmieden!“ Eine Geschichte, die heute bloß die Alten noch kennen und erzählen, Jugendlichen ist sie kein Begriff mehr. Noch nicht. Denn bald wird Thepass ja Filmgeschichte schreiben. Vielleicht. Böll jedenfalls hat schon Werbung für seinen neuen Streifen gemacht. Selbst Berlinale-Chef Dieter Kosslick soll er angerufen haben, um den Film dort ins Programm einzuschleusen.

An Professionalität zumindest mangelt es nicht. Ein Kameramann wird engagiert, Böll führt Regie, weil die Jugendlichen unbedingt vor die Kamera wollten, und für die Rolle des Lehrers ist Ulrich Gebauer gebucht, den manche aus Peymanns Bochumer Zeit kennen dürften. Oder aus dem „Tatort“, wo er „immer Bösewichte, Mörder und Perverse spielt“, sagt Böll und lacht. Was zum Horror-Glück jedoch noch fehlt, ist ein passendes Gruselhaus in Sprockhövel. Und Geld. Auch wenn Böll, Keim und Gebauer ohne Honorar arbeiten. Kosten fallen trotzdem an.

Und so wird vielleicht schon im April die erste Klappe fallen. Und man wird vielleicht sprechen über den alten Thepass und über die Stadt, in der er zuhause war. Aber bitte nur kurz. Denn wie gesagt: Sprockhövel ist nicht zuletzt deshalb eine angenehme Stadt, weil man so gut wie nie etwas von ihr hört.

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