AUF EIN PATERNOSTER MIT KENNEDY IM RATHAUS SCHÖNEBERG
: Im Zentrum der westlichen Welt

VON DIRK KNIPPHALS

Wer kann schon von sich behaupten, im Zentrum der westlichen Welt durch die Decke gegangen zu sein? Ich kann es. Als Schönebergkorrespondent dieser Zeitung konnte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, zum 50. Jahrestags von John F. Kennedys Berlinbesuch zum Rathaus Schöneberg zu pilgern. Die Paternoster befinden sich in den hinteren Treppenhäusern. Man kann einfach durchgehen, an Büros und Sitzungssälen vorbei. Man hört dann schon aus einiger Entfernung das leise Rumpeln, das von dieser antiquierten Beförderungstechnik ausgeht. Und dann kann man einsteigen, sanft nach oben schweben und sich zum krönenden Abschluss eben einmal durch die Decke tragen lassen.

Ob der amerikanische Präsident damals, am 26. Juni 1963, auch Paternoster gefahren ist?

Seine Rede hatte ich mir am Abend vorher noch einmal auf DVD angeguckt. Kennedy hat ja tatsächlich von hier aus Berlin zum Zentrum der Welt erklärt. Jeder freie Mensch, wo immer er auf der Welt auch lebe, sei ein Einwohner dieser Stadt, sagte er – und der Übersetzer, der die Rede häppchenweise auf Deutsch vortrug, hatte dabei ein heutzutage längst ungut klingendes, wirklich nur ganz leicht, doch deutlich nach Goebbels klingendes pathetisches Tremolo in der Stimme.

Ja, er ist ein Berliner

Wenn man heute, mit dem „Ich bin ein Berliner“-Satz im Ohr, vor dem Rathaus steht, hat man Schwierigkeiten, einen inneren Hallraum für diesen historischen Augenblick zu finden. Damals, die zeitgenössische Fernsehübertragung zeigt es eindrucksvoll, war die ganze Kreuzung vor dem Rathaus voller Menschen. Nach Kennedy hat Willy Brandt als Regierender Bürgermeister gesprochen. Und dann haben sie alle, während Kennedy sich ins Goldene Buch der Stadt eintrug, dem Klang der Freiheitsglocke gelauscht, die aus dem Turm des Rathauses läutete. Berlin war in diesem Moment wirklich der Brennpunkt der Geschichte.

Und heute? Es ist halt eine Großstadtkreuzung. Dass das hier nicht mehr das Zentrum der Welt ist, wurde sehr klar, als Obama diese Woche Berlin besuchte. Das Rathaus Schöneberg würdigte er keines Blickes. Schon einleuchtend, dass das Brandenburger Tor eine zeitgemäßere Kulisse für seine Rede abgab (und der Pariser Platz auch besser zu schützen war). Aber wenigstens das Kanzleramt hätte mehr historisches Bewusstsein zeigen können. Zum Galadiner mit Obama und Angela haben sie das Schloss Charlottenburg angemietet. Im Rathaus Schöneberg hätten sie sicher auch einen schönen Saal gefunden.

Fraglich allerdings, ob Obama geschmeckt hätte, was in diesen Tagen dort im Ratskeller zu Ehren der deutsch-amerikanischen Freundschaft angeboten wird. Am Tag meines Besuches waren es Sparerips – laut Speisekarte „wie für den Präsidenten gemacht“ – mit Coleslaw und knusprigen Barbecuewedges für 5,50 Euro. Passt nicht zu Obamas Fitnessprogramm, schätze ich. Aber da hätte sich noch etwas anderes finden lassen.

Der Besuch im Rathaus Schöneberg war aber auch jenseits solcher historischen Überhöhungen interessant. Kennedys Rede lief in einer Endlosschleife auf Video im Erdgeschoss. Im ersten Stock hingen überall Zeichnungen von Grundschulkindern – ein Malwettbewerb zum Thema Frieden. Im zweiten Stock, im Willy-Brandt-Saal, gab es ein Tagung von ErzieherInnen zum Thema Inklusion. Ich kam gerade in einer Pause, habe mich für einen Moment dazugestellt und einen Kaffee getrunken; alle haben mich freundlich angelächelt, keiner hat mich gefragt, was ich hier eigentlich zu suchen hätte. Auch sonst wirkte das Rathaus recht offen.

Und das Gebäude selbst hat auch etwas. Erbaut 1911 bis 1914 (laut einer Inschrift in einer Ecke). Klarheit, Sachlichkeit im Grundkonzept, aber mit vielen expressionistischen Details. Kennedy hat damals übrigens keineswegs vom Balkon im ersten Stock aus gesprochen, wie ich immer dachte, sondern von einem extra zusammengezimmerten Holzgerüst herunter, das man vor der Fassade des Rathauses aufgestellt hatte. Und ich denke mal, er ist bestimmt nicht Paternoster gefahren.