„Eine Geburt hat etwas Mystisches“

DIE HEBAMME Silja Rehfeldt ist Geburtshelferin aus Leidenschaft. Schon als Kind wollte sie nicht zur Schule gehen, wenn ihre Meerschweinchen Junge bekamen. Wegen ihrer blonden Locken und ihrer entspannten Art vergleichen viele Gebärende sie mit einem Engel. Andere sagen, sie habe etwas Hexenhaftes. Für Rehfeldt ist das ein Kompliment

■ Die Frau: Silja Rehfeldt wird 1977 in Flensburg geboren. Sie macht Fachabitur, dann ein soziales Jahr in einem Krankenhaus in Hannover und hospitiert bei einer Hausgeburtshebamme. 1997 geht Rehfeldt nach Berlin und absolviert im Neuköllner Krankenhaus am Mariendorfer Weg eine dreijährige Ausbildung zur Hebamme.

■ Der Beruf: Die meiste Zeit ihrer nunmehr 16-jährigen Berufstätigkeit arbeitet sie als „Beleghebamme“: Sie hat ihre eigenen Klientinnen und kann bei der Entbindung die Infrastruktur von Krankenhäusern nutzen, mit denen sie einen Belegvertrag hat. Seit 2013 ist sie als Hebamme im Kreißsaal des Reinickendorfer Humboldt-Krankenhauses tätig.

■ Die Mission: Silja Rehfeldt engagiert sich auf diversen Gebieten, die ihr am Herzen liegen: bewusste und selbstbestimmte Geburt, somatische Körperarbeit, Sexualität. In eigenen Räumen in Friedrichshain führt sie dazu Fortbildungen und Einzelsitzungen durch. Auch in anderen Städten und im Ausland wird sie als Referentin für Seminare und Konferenzen gebucht. Im Oktober 2013 veranstaltet Rehhfeldt in Berlin die „First German Conference Of Sexuality And Consciousness“.

Interview PLUTONIA PLARRE
FOTOS DAGMAR MORATH

taz: Frau Rehfeldt, haben Sie zuletzt einen Jungen oder ein Mädchen entbunden?

Silja Rehfeldt: Ein Mädchen. 3.500 Gramm, relativ schwer für die Mutter. Mit 35 hat sie ihr siebtes Kind gekriegt. Die Frau war 1,50 Meter groß. Im Gegensatz zu meinen 1,80 Metern sehr zierlich also. Wir hatten viel Spaß.

Inwiefern?

Die Frau war schon 24 Stunden im Krankenhaus. Ich hatte sie aufgenommen, und als ich zum nächsten Dienst kam, war sie immer noch da, was sehr ungewöhnlich ist für das siebte Kind. Das hätte sie auch in 20 Minuten haben können. Die Kolleginnen hatten mit der Frau vorher alles probiert, von gymnastischen Übungen bis zum Tropf.

Und was haben Sie dann mit ihr angestellt?

Nichts Besonderes. Die Frau sprach kein Wort Deutsch, aber wir hatten eine sehr herzliche Verbindung. Wir waren eine Einheit: Entspannt und ruhig. Manchmal musst du vielleicht auf die Person warten, die dir bieten kann, was du brauchst. Egal welche Sprache du sprichst.

Klingt ziemlich banal.

Aber es ist so. Je länger ich bei Geburten dabei bin, umso weniger tue ich. Der Körper weiß, was er zu tun hat. Man braucht jemanden, der glaubt, dass es machbar ist, und dieses Vertrauen ausstrahlt; der der Frau den Raum bietet, es geschehen zu lassen.

Gilt das für alle Frauen?

Ich habe 16-Jährige erlebt, die in einer Stunde entbunden haben. Die haben dabei nicht nachgedacht und auch erst mal nicht danach. Je jünger die Frauen sind, desto einfacher ist es manchmal. Auch kulturell sieht man in Berlin große Unterschiede.

Geben Sie uns ein Beispiel.

Meine Beobachtung ist, dass Migrantinnen viel mehr familiäre Unterstützung haben. Sie sind ganz anders abgepolstert, auch wenn mal ein Kind verstirbt. Selbst wenn ein 50-Gramm-Kind beerdigt wird, kommt die ganze Familie. In Deutschland wird vieles totgeschwiegen. Es wird nicht erzählt, wenn die Kinder nicht perfekt sind, wenn sie behindert sind. Aber das ist das Schöne an dieser Stadt: Man lernt unglaublich viel. Man ist Teil von so vielen unterschiedlichen Szenen und Kulturen, und kann die Erfahrungen auch immer wieder in die Arbeit einfließen lassen.

Eine Geburt ist für die Eltern eine sehr emotionale Situation. Für Sie auch noch, nach so vielen Entbindungen?

Ich bin immer gerührt. Es ist immer anders, und ich bin immer dankbar, dass ich dazu beitragen durfte. Es ist die pure Freude, zu sehen, wie ein Paar dasitzt und sich anstrahlt. Auch ganz harte Frauen sind auf einmal so soft. Die Geburt ist einfach die größte Transformation im Leben einer Frau. Das befriedigt mich. Ich gehe mit dem Bild im Kopf nach Hause und weiß, warum ich da 36 Stunden gewesen bin.

Was für eine Rolle spielen die Väter bei der Geburt?

Ich kann mir das ohne Väter gar nicht mehr vorstellen. Dieses Erlebnis ist unglaublich wichtig für eine werdende Familie, als erste gemeinsame Grenzerfahrung. Aber ich sage meinen Frauen immer: Es nutzt nichts, wenn ihr sie zwingt, dabei zu sein. Davon habt ihr mehr Schaden als Nutzen. In meinen Geburtsvorbereitungskursen sitzen die Männer am Samstagsmorgen meist mit langem Gesicht da und denken: Toll, kann ich das ganze Wochenende beim Hechelkurs verbringen. Am Ende des Sonntags spülen die sogar noch die Tassen, was bei Männern immer bedeutet, dass es ihnen sehr gefallen hat.

Warum haben Sie sich als junge Frau diesen Beruf ausgesucht?

Ich habe das schon immer als meine Berufung empfunden. Ich habe schon meine Meerschweinchen entbunden.

Sie machen Witze.

Wir hatten zu Hause 15 Meerschweinchen. Ich habe meinen Eltern gesagt, wann die Wehen haben und wie lange schon. Die fanden das immer höchst pathologisch. Manchmal bin ich auch nicht zur Schule gegangen, weil ich die Entbindung nicht verpassen wollte. Unsere Nachbarin hat auch eine Hausgeburt gehabt, da war ich mit meiner Mutter dabei, weil die Hebamme nicht schnell genug war. Irgendwie gab es immer solche Situationen.

Ausbildungsplätze für Hebammen sind rar. Mussten Sie lange warten?

Manche bewerben sich fünf Jahre und länger. Ich hatte auf den ersten Rutsch zwei Zusagen, eine in Göttingen, eine in Neukölln. Am Ende des ersten Jahres fängt man mit Geburten an, 40-Stunden-Woche im Schichtdienst. Aber ich wusste, worauf ich mich einlasse.

Wieso?

Ich hatte zuvor ein Jahr bei einer alten Hebamme hospitiert, die nur Hausgeburten machte. Bei ihr habe ich mehr gelernt als in meiner ganzen Ausbildung. Das, worauf es wirklich ankommt. Was man dann im Krankenhaus lernt, ist Technik und Angst.

In den Krankenhäusern hat sich aber viel verändert.

Gott sei Dank! Jede kleine Veränderung hat Jahre gebraucht. Angefangen damit, dass es früher Kabinen gab, in denen sich eine Person nicht mal umdrehen konnte. Die Betten standen so, dass alle, die reinkamen, den Frauen zwischen die Beine guckten. Vier Jahre hat es gedauert, die Krankenhausleitung davon zu überzeugen, die Betten zu drehen. Die Uhren wegzuhängen vom Fußende – die Frauen mussten vorher permanent auf die Zeit gucken. Kleinigkeiten.

Das Humboldt-Klinikum, in dem Sie zurzeit arbeiten, ist als babyfreundlich zertifiziert. Was heißt das?

Das Neugeborene bekommt nur eine Windel an und bleibt nackt auf dem Körper der Mutter. Die Kinder werden nach der Geburt auch nicht gebadet. Sie sind ja nicht schmutzig. Sie duften. Man hat aufgehört, sie gleich nach der Geburt zu untersuchen, zu messen, an ihnen rumzutütteln. Sie bleiben 24 Stunden bei den Frauen. Das ist ganz wichtig für das Bonding, die Mutter-Kind-Beziehung. Auch auf das Stillen wird ein besonderes Augenmerk gelegt. Früher war es so, dass die Säuglinge alle vier Stunden ausgeteilt wurden. Wenn eine Frau nicht genug Milch hatte, hieß es: Klappt eh nicht. Können Sie gleich die Flasche geben.

Wenn das nicht mehr so ist, haben Geburtshäuser dann noch eine Existenzberechtigung?

Auf jeden Fall. Das sieht man in Holland: 80 Prozent Hausgeburten, und die Kinder sind viel gesünder, stabiler vom Immunsystem und der Sensomotorik her. Von der Fähigkeit, sich selbst zu lieben. Wenn man das kann, hat man 10 Jahre Therapie gespart im Laufe des Erwachsenwerdens.

Verklären Sie das jetzt nicht?

Leider nicht. Das wird immer aktueller. Die Frauen haben einen riesigen Bedarf an guter Geburtshilfe. Ich unterrichte „bewusste Geburt“ und war dieses Jahr schon zweimal in Norwegen. In Istanbul habe ich auf einem Ärztekongress referiert, bei dem übrigens alle Teilnehmer Männer waren. Die Geburtshilfe dort ist sehr maskulin. 90 Prozent der Istanbuler Frauen bekommen einen Kaiserschnitt.

In Deutschland liegt die Rate auch schon bei 40,5 Prozent.

Das nimmt gerade total zu. Auch aus Angst, nicht mit den Schmerzen umgehen zu können. Es ist fast immer unser Kopf, der uns im Wege steht. Selten passieren Katastrophen aus anatomischen Gründen. Das Schwerste für uns ist die Hingabe – das Vertrauen, dafür gemacht zu sein.

Sie haben selbst einen siebenjährigen Sohn. Wie haben Sie seine Geburt erlebt?

Ich habe mich unglaublich darauf gefreut. Aber es war auch traumatisch. Ich war überraschend schwanger geworden, es waren Zwillinge. Das eine Kind habe ich während der Schwangerschaft verloren. Mein Sohn ist geblieben und weitergewachsen in meinem Bauch.

Weiß er von seinem Zwilling?

Ja, aber das ist für ihn noch nicht so richtig greifbar. Der Vater der Zwillinge beziehungsweise meines Sohnes hatte mich in der Schwangerschaft verlassen. Nach acht Jahren Beziehung, wirklich überraschend. Er sah sich nicht in der Lage, das leisten zu können. Als Hebamme denkt man ja, man ist vor solchen Dingen gefeit. Aber es ist auch nicht anders als bei anderen.

Wann haben Sie den Zwilling verloren?

In der 19. Woche. Da hatte ich mich damit arrangiert, dass ich alleinerziehend sein würde, mit Zwillingen und zwei Katzen. Erst verlassen zu werden und dann auch noch das Kind zu verlieren – es war eine unglaubliche Traurigkeit. Meine Oma hat immer gesagt, man kriegt nur das, was man aushalten kann. Recht hatte sie. Positiv gewendet: Es war enormes Glück, dass ich nicht beide Kinder verloren habe.

Und die Geburt selbst, wie haben Sie die erlebt?

Eigentlich wollte ich eine Hausgeburt. Aber ich habe leider enorm hohe Blutdrücke gekriegt, was sicher auch an dem ganzen Stress vorher und meiner hohen Erwartungshaltung lag. Dann habe ich mich entschieden, in der Klinik zu entbinden, aber mit meiner Hausgeburtshebamme. Wir sind in die anthroposophische Klinik nach Havelhöhe gegangen. Das war sozusagen der Kompromiss. Ich hatte aber keine Zweifel, dass ich es schaffen würde.

Trotzdem ist es dann anders gekommen?

Es gab Komplikationen mit der Sauerstoffversorgung meines Sohnes, sodass er schnell geholt werden musste. Eine Vollnarkose habe ich abgelehnt. Der Oberarzt hat mir dann eine Spinalanästhesie gesetzt, leider mit der Folge, dass die aufgestiegen ist.

„Es ist die pure Freude, wenn ein Paar dasitzt und strahlt. Auch ganz harte Frauen sind auf einmal so soft“

Was heißt das?

Die Anästhesie hat nicht nur meinen Unterleib betäubt, sie stieg mir bis zum Kinn auf. Ich konnte nicht mal sagen, dass ich nichts sagen kann. Ich versuchte, mich auf das Atmen zu konzentrieren. Es war wie eine Nahtoderfahrung: Ich habe zugeguckt, wie sie mich operierten. Ich bin richtig weggegangen. Ich glaube, das ist der Schutzmechanismus für Frauen in vergleichbaren Situationen: wirklich den Körper verlassen, um zu überleben. Das Gehen war interessanterweise gar nicht schrecklich. Es war warm. Es war hell.

Und Ihr Kind?

Meine Mutter hatte meinen Sohn. Sie hat ihn aus dem Bauch in den Arm gekriegt. Sie war echt cool und gab ihn nicht her. Der Kinderarzt durfte nur mal horchen. Sobald ich noch halb benommen aus dem OP raus war, hat sie ihn mir auf die Brust gelegt. Damit ist sicher eine Menge gerettet worden. Aber es hat eine Weile gedauert, bis wir den Schreck verarbeitet hatten.

Hat sich dieses Erlebnis auf Ihre Tätigkeit ausgewirkt?

Es hat mir komplett die Angst vorm Sterben genommen. Ich glaube, das trägt im Kreißsaal enorm dazu bei, dass ich diese Arschruhe habe.

Was sind Sie für ein Typ?

Ich habe das Sternzeichen Löwe. Ich finde, das trifft mich ganz gut. Ich bin sehr dynamisch und neige dazu, immer schnell Verantwortung zu übernehmen. Ich organisiere gerne Dinge. Ich bin auf jeden Fall sehr präsent.

Dominant?

Ich kann auch dominant sein, wenn’s hilft. Ich kann alle Rollen spielen unter der Geburt. Ich kann die beste Freundin sein, ich kann die Mama sein, ich kann der Mann sein. An sich bin ich aber wie jede andere Frau. Ich hätte gerne einen präsenten Mann und würde mich hingeben und weich und fraulich sein. Diese Rolle würde ich sehr genießen, wenn es leicht wäre, so ein Gegenüber zu finden. Es gibt ganz viele Leute, die sagen, sie finden mich ebenso faszinierend, wie sie Angst vor mir haben. Es gibt auch Leute, die sagen, ich hätte etwas Hexenhaftes.

Wie finden Sie denn diesen Vergleich?

Ich finde das nicht so weit hergeholt als Hebamme. Wir waren immer Frauen, die Dinge wussten, die anderen nicht bewusst waren. Dafür haben sie uns früher verbrannt.

„Hexe“ ist ein Kompliment?

Ich verstehe das als Kompliment. Eine Geburt hat etwas ganz Mystisches. Das geht hinter den Verstand. Das ist einfach so.

Vieles von dem, was Sie sagen, klingt esoterisch.

Alle Hebammen sind esoterisch. Wir arbeiten mit der Ursprungsenergie. Alle Menschen entstehen aus sexueller Energie. Was sonst ist eine Geburt? Stellen Sie sich vor, ein Mann hat 48 Stunden mit etwas zu tun, was in seinen Genitalien stattfindet. Würde er das nicht sexuell nennen?