: Die kleine Stimme im Ohr
REDAKTIONSBESUCH Das TV-Magazin „Media Watch“ deckt Schlampereien und vorsätzliche Fehler australischer Journalisten auf. Beim Publikum kommt diese kritische Haltung gut an – bei den Betroffenen weniger
AUS SYDNEY JON MENDRALA
Es ist Vormittag im Sendezentrum der Australian Broadcasting Corporation (ABC) mitten in Sydney, in der Redaktionskonferenz redet Jonathan Holmes auf seine fünf Kolleginnen und Kollegen ein. „Ob ihn die anderen namentlich nennen – ist mir egal. Wir jedenfalls tun es nicht.“
Alle Journalisten im Land wissen, wer gemeint ist. Aber Holmes wird am Abend der Ausstrahlung einer neuen Folge von „Media Watch“ nur von einem „australischen Showmaster über 80“ reden, der in den Kindesmissbrauchsskandal der verstorbenen BBC-Legende Jimmy Savile verwickelt sein könnte.
Könnte. Darum geht es: Fakten und Ermittlungen zu trennen. Und ums Prinzip. Immer. Für die obersten Medienjournalisten des fünften Kontinents gelten andere Regeln. Seit 1989.
In dem schmucklosen Großraumbüro im fünften Stock der Sendezentrale setzen die ABC-Journalisten die Themen, über die einmal in der Woche nicht nur Medienschaffende am nächsten Morgen diskutieren. Sie schauen genau hin, wenn die Kollegen versagen: bei unterschwelliger Fremdenfeindlichkeit, plumpen Stereotypen, Korruption, unsauberer Recherche, Weglassen entscheidender Fakten.
Ob so etwas fahrlässig oder vorsätzlich geschieht? Das ist „Media Watch“ egal.
Die zweite Story, die am Tag des Redaktionsbesuchs im Programm ist: ein Buchmacher, der in Sportsendungen der Privatsender unverhohlen für Wetteinsätze und Quoten wirbt, aber als Reporter auftritt. Für die Sender WIN oder Ten ist das normales Geschäftsgebaren, für „Media Watch“ unlautere Verquickung, ein Tabubruch.
Beim Publikum machen sich die Macher von „Media Watch“ damit beliebt, bei den Kollegen eher nicht. „Uns geht es nicht darum, jemandem eins auszuwischen. Aber wenn ein Journalist, eine Zeitung oder ein Sender etwas Falsches berichtet, dann gibt es uns“, sagt Jonathan Holmes. „Und glauben Sie mir: ‚Public shaming‘ ist ein wirkungsvolles Instrument. Jeder Journalist in diesem Land schaut die Sendung. Wir sind die kleine Stimme im Ohr.“ Holmes kann es sich leisten, mit dem Finger auf Kollegen zu zeigen: Für die öffentlich-rechtliche ABC, das australische Pendant der BBC, hat er für alle investigativen Formate gearbeitet und war als Korrespondent in Washington.
Und seine Arbeit wird gebraucht: „Das Australian Press Council ist leider ein blutleerer und zahnloser Tiger“, sagt Timothy Dwyer, Dozent an der University of Sydney, über den dortigen Presserat. „ ‚Media Watch‘ übernimmt daher die Funktion, die eigentlich ein unabhängiger Akteur innehaben sollte. Und so wird eine Sendung zum Seismografen unseres kleinen australischen Mediensystems.“
Das Image als „Maverick“ und Nestbeschmutzer haftet den Machern dabei weiter an: Wer die eigenen Kollegen oder gar die eigene Branche anschwärzt, macht sich dort selten Freunde.
Piers Akerman, einer der prominentesten Meinungsmacher Australiens, ist die Edelfeder des Boulevardblatts The Daily Telegraph. In seinen Kolumnen und im direkten Gespräch lässt er niemanden über seine politischen Überzeugungen im Zweifel: Die ABC? Propaganda-Rotfunk. Öffentlich-rechtliches Fernsehen? Reine Zwangssteuer. Die sozialdemokratische Regierung? Eine Bande von Kommunisten, Idioten und Clowns. Der Klimawandel? Linke Spinnerei.
Logisch, dass Akermans Blatt regelmäßig bei „Media Watch“ auftaucht – und der Kolumnist eine Privatfehde mit der Sendung führt: „ ‚Media Watch‘ attackiert doch immer nur von links. Ich kann mich an keinen konservativen Standpunkt erinnern. Ich schaue die Sendung nicht, halte sie für gänzlich irrelevant.“
Der Kommunikationswissenschaftler Timothy Dwyer hält dagegen: „Wir haben zwar eine funktionierende Demokratie, und das ist schön für unser historisches Selbstverständnis, doch leider fehlen in der Verfassung aus dem Jahr 1901 sämtliche Grundrechteartikel sowie Presse- und Meinungsfreiheit. Journalisten in Australien sollten mit Geldstrafen zum Schweigen gebracht werden. Es ist ihnen sogar angedroht worden, sie ins Gefängnis zu werfen, wenn sie ihre Informanten bei Gerichtsverfahren nicht preisgeben wollen.“
Anwaltskanzleien überziehen Verlagshäuser und Redaktionen regelmäßig mit Unterlassungsklagen oder Klagen wegen vermeintlicher Persönlichkeitsrechtsverletzungen, klagt Dwyer.
Dazu kommt, dass Australiens Zeitungslandschaft von gerade mal zwei großen Verlagshäusern geprägt wird: Bei Fairfax Media erscheinen die einflussreichen linksliberalen Großstadtblätter Sydney Morning Herald und The Age (Melbourne). Ihren Widerpart gibt der gebürtige Australier Rupert Murdoch mit dem Daily Telegraph, dem Schwestertitel The Herald Sun aus Melbourne sowie mit The Australian, der einzigen landesweit erscheinenden Tageszeitung. Fairfax und Murdoch bringen es zusammen auf fast 90 Prozent der gesamten Druckauflage des Landes; das System: konzentriert und verflochten, denn auch Beteiligungen an Radiostationen, Free und Pay TV gehören zum Portfolio der Häuser.
Eine kritische Sendung macht da nichts als Ärger. Vorübergehend knickte sogar die öffentlich-rechtliche ABC ein: 2000 wurde „Media Watch“ vorübergehend für fast ein Jahr abgesetzt. Zu viele gerichtliche Auseinandersetzungen, zu viele Scherereien. Doch die Hierarchen hatten nicht mit dem Protest der Zuschauer gerechnet. „Media Watch“ ging wieder auf Sendung, der ABC-Fernsehchef musste gehen. Heute stellt keiner mehr die Sendung infrage.
Zum Abschied reicht Redaktionsleiter Holmes seine Visitenkarte rüber. Alle in der Redaktion haben die gleiche; es steht kein Name darauf, sondern nur der Sendungstitel. „Ich glaube nicht, dass uns die anderen wirklich hassen“, sagt Holmes: „Aber unser Motto: ‚Everyone loves it until they’re on it‘, das stimmt wohl.“