: Daumen der Freundschaft
NETZ Auf Facebook vernetzen sich Menschen aus Staaten, die verfeindet sind. Weil sie Frieden wollen
VON JACK PAIGE
Iranians, we will never bomb your country. We love you.“ Diese Liebeserklärung schrieb der israelische Grafikdesigner Ronny Edry am 14. März 2012 auf ein Foto, auf dem er seine kleine Tochter im Arm hält. Er postete es auf Facebook. Zu der Zeit herrschten zwischen Iran und Israel große Spannungen – Iran drohte mit der Atombombe, Israel mit einem Präventivschlag. Und dann dieser friedliche Satz: „Iraner, wir werden euer Land niemals bombardieren. Wir lieben euch.“
Edrys Idee war ganz einfach: Er wollte dem „Feind“ ein Gesicht geben, und zwar mit einem Bild, auf dem man sah, dass Israelis genau wie Iraner Väter, Mütter, Ehemänner und -frauen sind. Dass Israelis ihre Kinder lieben – wie die Menschen im Iran.
Bereits innerhalb weniger Stunden reagierten viele Menschen aus Israel und aus Iran auf Edrys Bild und posteten ihrerseits Fotos und Botschaften, die alle denselben Wunsch zum Ausdruck brachten: Wir wollen keinen Krieg. Der Wunsch nach Frieden verbreitete sich über Nacht wie ein Lauffeuer.
Als Nächstes erstellte Edry die Facebook-Seite „Israel loves Iran“. Sie wurde schnell zu einer Plattform für Iraner, die Israelis zum Tod eines israelischen Soldaten kondolierten, oder für Israelis, die Iranern ein frohes neues Jahr wünschten. Die Seite hat heute knapp 112.000 „likes“ – gestreckte Daumen als Ausdruck der Zustimmung in Facebooks Welt.
„Als ich das Foto gepostet habe, dachte ich, das wäre so was wie eine Flaschenpost, die nie gefunden werden wird“, sagte Edry über sein Foto, das zu einer Art Ikone geworden ist. Diese – und vor allem so viele – Reaktionen hat er nicht erwartet.
„Dazu muss man wissen, dass wir in Israel nichts von Iran erfahren, außer dem, was unsere Politiker sagen“, sagt Edry. Er war überrascht, als er sah, dass Facebook im Iran überhaupt genutzt wird – „und dass es dort Grafikdesigner gibt“.
Kurz darauf erstellte Majid Nowrouzi, ein Iraner, der in Malaysia lebt, die Freundschaftsseite „Iran liebt Israel“. Nowrouzi hatte die Schrecken des Iran-Irak-Krieges von 1980 bis 1988 noch präsent; er verlor damals seinen Onkel und einen Freund. Nun wollte Nowrouzi gegen einen möglichen neuen Konflikt seine Stimme erheben.
„Als ich mich eines Tages in Facebook einloggte, fand ich zwischen all den fürchterlichen Meldungen, die über Iran und Israel verbreitet wurden, einen Hoffnungsschimmer; ein Typ aus Israel hatte gepostet: Wir wollen Iran nicht bombardieren, wir lieben euch“, sagt Nowrouzi.
Aus Edrys und Nowrouzis Initiativen entstanden Gemeinschaftsprojekte – etwa die Fotoserie: „Frieden: Das ist, wenn zwei Freunde zusammen Kaffee trinken“, in der sich gewöhnliche Leute aus Ländern, die als verfeindet gelten, gemeinsam fotografieren lassen und diese Bilder posten. Oder: „Grüße aus dem Nahen Osten“, bei denen Facebook-NutzerInnen auf Israel-Iran-Seiten ihre Gedanken über das Leben, die Liebe, internationale Beziehungen und die Zukunft mit Tausenden von Facebook-Freunden teilen.
Eines der ehrgeizigeren Projekte war die dreiwöchige Kampagne „IranerInnen in Tel Aviv“ im Oktober 2012, bei der 70 Autobusse zu mobilen Werbeträgern für den Frieden wurden – beklebt mit Postern, auf denen IranerInnen und Israelis Seite an Seite abgebildet waren.
Als Edrys Kampagne immer populärer wurde, wurde er bestürmt, seinen Slogan „We love you“ nicht nur like-bar, sondern auch tragbar zu machen. Er ließ sich darauf ein und verschickt jetzt regelmäßig bedruckte Friedens-T-Shirts in die ganze Welt.
Auch online ist die Sache inzwischen in der ganzen Welt verbreitet. Es gibt immer mehr Facebook-Seiten, auf denen es heißt: „Afghanistan loves Israel“, „Palestine loves Israel“, „America loves Iran“, „Australia loves Iraq and Afghanistan“ und so weiter.
Jetzt wollen Aktivisten ein kreatives Laboratorium aufbauen, ein Start-up-Unternehmen, das für Frieden Werbung macht. In diesem Juni soll es losgehen. Es sollen möglichst viele Grafik- und WebdesignerInnen, KünstlerInnen und FilmemacherInnen aus dem Nahen Osten angeregt werden, innovative Projekte zu entwickeln, die die Botschaft der Kampagne aufnehmen.
Doch trotz der massenhaften und positiven Reaktionen auf Edrys Initiative bemängeln Kritiker, dass die tiefe Kluft zwischen Israel und Iran nicht mittels einer Facebook-Seite überwunden werden könne. Sie sind der Meinung, dass harte geopolitische Realitäten nicht mit optimistischen Bildern und kurzen Botschaften auf der Website eines sozialen Mediums konterkariert werden könnten.
„Mir wurde so oft gesagt, dieses Projekt sei naiv, dass ich langsam selber anfing, das zu glauben“, sagte Nowrouzi dazu, „aber dann wurde mir klar, dass ich tatsächlich so naiv bin und so was wie Liebe und Freundschaft bewirken möchte.“ Regierungen nutzten die politische Lage aus, um der Bevölkerung Angst einzujagen, meint Nowrouzi. „Unsere Aufgabe ist es, den Regierungen zu sagen, dass wir keinen Krieg wollen.“
Auch Edry hat sich mit dem Vorwurf der Naivität auseinandergesetzt. Er besteht darauf, dass das Bauen von Brücken zwischen Menschen ein erster Schritt zum Frieden sei.
„Es ist leicht, gegen jemanden Krieg zu führen, den man nicht kennt“, meint er, „aber wenn du den angeblichen Feind kennst, kannst du deiner Regierung Fragen stellen.“
„Ich habe jetzt viele Freunde in Teheran. Menschen aus Iran haben Freunde in Tel Aviv und in Jerusalem“, sagte Edry. „Warum sollten wir gegeneinander Krieg führen?“
Tatsächlich stammt die überwältigende Mehrheit der Nutzer der Facebook-Seite „Israel loves Iran“ aus Israel oder Iran. Wie auch immer sich die Zukunft dieser beiden Länder gestalten mag, Edry glaubt, dass allein die Existenz dieses Internetbundes den Ausbruch eines offenen Konflikts erschweren könnte.
Er weiß selbst, dass sich die offiziellen Beziehungen zwischen Iran und Israel nicht verbessert haben, seit Edry seine erste hoffnungsvolle Botschaft auf seiner Facebook-Seite gepostet hat. Aber trotzdem hat die „Israel loves Iran“-Kampagne vielen ihrer Anhänger Hoffnung gemacht. Schon die Sprache ist deutlich angenehmer als die bedrohliche Phrasendrescherei der Politiker.
Ein Teilnehmer aus Iran, dessen Name zu seinem Schutz nicht genannt werden soll, sagt, er habe bei der Kampagne mitgemacht, weil „wir und unsere Kinder eine bessere Zukunft verdient haben und wir alle bei der Gestaltung dieser Zukunft eine Rolle spielen können“.
Aus dem Englischen von Heike Brandt