: Konsumenten brauchen nichts Neues mehr
MESSE Dienstag eröffnet in Hannover die CeBit – und der gewöhnliche Mensch zuckt müde mit den Achseln. Woran liegt es, dass diese wichtigste Computermesse nicht mehr zieht?
VON JAN FEDDERSEN
Die Feinde sind nicht einmal aggressiv. Sie würden nie im Bekennerton sagen: „Da fahr ich aber garantiert nicht mehr hin.“ Bereits im vergangenen Jahr musste die Leitung der CeBit – des „Centrums für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation“ – einen zwanzigprozentigen Besucherrückgang verkraften. Die Fachwelt, all die Verkäufer, Marketingmenschen und Vertriebsagenten sowie Untermanager von Technologiefirmen können nicht fern bleiben, die CeBit ist auch ein Vertriebenentreffen. Aber das Publikum, Männer und Frauen wie wir, einfach nur interessiert an technisch Neuem, haben diesen Termin nicht mehr auf ihrem Ausflugsplan: CeBit? Muss nicht sein!
Das war vor zehn Jahren noch ganz anders; die CeBit war das Mekka der neuen, computerisierten Zeit. Hier wollte man sich erkundigen, was neu, interessant, für den eigenen Gebrauch nützlich ist. Damals, als die Messe noch verhieß, Orientierung zu bieten, als tatsächlich dieser Parcours einen Weg aus der kommunikativen Antike ins Heute zu weisen schien, war die CeBit auch ein Forum, sich mit der Moderne des Internetzeitalters vertraut zu machen.
Seither hat sich sehr vieles verändert, vor allem der Grad an Sättigung mit all diesen neuen Sachen. Wählscheibentelefone oder Schreibmaschinen ohne Onlineverbindung sind Dinge aus dem Vorgestern – Computer, Internet, Mails, WLAN sind gängig geworden und keine phantasmatischen Zauberworte aus James-Bond-Filmen. Mehr noch: Das Sprechen ins Telefon ist nicht mehr an eine Station gebunden, das Handy macht seine Nutzer frei. Die neue Generation der Mobiltelefone allerdings ist so perfekt, dass sie eine Art Erschöpfungssyndrom bewirkt hat: Ein iPhone ist nichts als ein Telefon, das außerdem einen Cassettenrecorder in sich trägt, Mails überträgt, sie zu beantworten ermöglicht und außerdem über einen passablen Fotoapparat samt Videofunktion verfügt, der professionelle Fotografiergeräte nicht überflüssig macht, aber für das beiläufige Ablichten vollkommen ausreicht.
„Connected Worlds“ lautet die Überschrift der CeBit dieses Jahres, aber die Welt ist für jedermensch allenthalben gut erreichbar mit Gerätschaften, die eineR bereits besitzt. Irgendwie muss ein Völlegefühl in die potenzielle Kundschaft eingesickert sein: Man hat, was man sich vor zwei Jahrzehnten noch nicht vorstellen konnte, aber nun reicht es, beziehungsweise das, was man schon kennt und womit man umgehen kann – womöglich nicht für alle Zeiten, aber für die nächsten Jahre. Verbesserungen wird es nur noch in den Details geben: eine höhere Netzgeschwindigkeit, eine bessere Bildauflösung, billigere Tarife ohnehin. Und das gilt für alle Kommunikationstechnik: Die letzte wichtige Innovation im Fernsehbereich war die Erfindung des Flachbildschirms – und mit einem solchen Gerät ist mittlerweile in Deutschland auch jeder zweite Haushalt ausgestattet. Was soll jetzt noch kommen?
Hersteller von Küchengeräten wissen das von ihren Messen: Immer mehr Instrumente mit technischer Brillanz zu versehen, macht die Kunden nicht glücklich. Dieser in den Neunzigerjahren hauptsächlich boomende Sektor musste seine Erwartungen an Umsätze herunterschrauben, weil die Kundschaft offenbar merkte, dass ein Gerät, das einfach nur mixen oder rühren soll, diese Aufgaben nicht besser löst, wenn es computerisiert unterstützt wird. Zu viel Technik nimmt zu viel Platz weg – ebendies ist ja der Grund für den Erfolg des TV-Geräts, das sich an Wänden wie ein Bild ausnimmt und im Wohnzimmer nicht mehr wie ein eichener Kommodentrumm alles zustellt.
Plötzlich, da der erste Technisierungswahn seine Klimax hinter sich hat, müssen sich auch nicht mehr Menschen schämen, die noch ein Mobiltelefon aus der Bronzezeit dieses Geräts nutzen, solche, die sie vor zehn Jahren erwarben, womöglich mit eingerissenem Display und äußerst begrenztem Funktionsradius – ohne Mails, Fotos, Musik und allerlei anderem Schnickschnack. Sie wirken sogar ökologisch nachhaltig, weil sie das Funktionsfähige nicht schon nach einem Jahr gegen eine neue Generation des Mobiltelefons tauschen.
Auf der CeBit gibt es obendrein nichts von dem zu sehen oder zu befühlen, was hin und wieder noch Aufmerksamkeit erregt, etwa das iPad von Apple, das neue Produkt aus dem Hause Steve Jobs. Aber Hannover ist für den global hippsten Kommunikationskonzernleiter offenbar keine Adresse, die man besucht haben muss, um das eigene Produkt zu bewerben – Apple promotet sich wie in einem katholischen Hochamt vornehmlich selbst und durch Mund-zu-Ohr-Geflüster. Wie der Vatikan hat diese Firma eine Moderation durch andere nicht nötig.
Was in Hannover von der kommenden Woche an geboten wird, ist letztlich nur das, was für das Fachpublikum von Relevanz sein kann: Dass aber die Verheißung verfängt, künftig in Computer oder Fernseher alles auf 3D sehen zu können, muss bezweifelt werden. Vielleicht ist die Zeit der Computermessen für das Publikum ohnehin vergangen. Das Land ist übersät mit Mobilfunkläden, in den Einkaufszentren findet sich garantiert eine Filiale eines Discounters mit TV-, Computer-, Foto- und Handyprodukten. Das sind, so gesehen, die Nebenkirchen in jeder Stadt: Wer einmal gesehen hat, wie diese Märkte zum Staunen und Berühren besucht werden, weiß, warum die CeBit nicht mehr nötig ist: Man hat alles doch auch in der Nähe.