Unerschütterliche Übellaunigkeit

Denen kein einziges Lächeln über die Lippen huscht: Bauhaus, die britischen Gründungsväter des Dark Wave, traten in der Columbiahalle auf und versetzten die Besucher in ein Paralleluniversum schönster Melancholie

Lang ist es her, dass man so viele Menschen in schwarzen Militärhosen, in nietenschweren Lederjacken und mit hüftlangen Rastas an einen Ort strömen sah. Ewigkeiten, dass man sich darüber amüsieren durfte, wie auch derart dunkle Gestalten auf dem Weg zum Konzert nach einem Kaugummi fragen oder nach dem Rückweg zum Auto. Und das ausgerechnet jetzt, mitten im Wahnsinn der Berlinale. Ein Paralleluniversum im anderen.

Mehr als ein Vierteljahrhundert ist es her, als sich im britischen Northampton die Band Bauhaus gründete und dem schnellen und aggressiven Punk der Zeit ihren ersten Hit entgegensetzten, das siebenminütige, hypnotische Wabern mit dem Titel „Bela Lugosi’s Dead“ – ein Hit, der bis heute in keiner guten 80er-Jahre-Disko fehlen darf und zusammen mit den ersten Platten von The Cure oder Sioxsie and The Banshees den Dark Wave begründete. Es galt, dem fröhlichen Politaktivismus der Zeit mit Melancholie, Depression und Todessehnsucht den Garaus machen. Auch wenn sie sich schon fünf Jahre danach wieder auflösten: Bauhaus gehörten in ihrer unerschütterlichen Übellaunigkeit zu den ganz Großen.

Dass sie noch immer kein bisschen kleiner geworden sind, das zeigten sie auf einem ihrer vielen Konzerte, die sie seit 1998 wieder geben – ohne seitdem eine neue Platte versucht zu haben. Fast niederschmetternd, wie wuchtig und wie wichtig diese gealterten Herren und die Klänge, die sie auf der Bühne erzeugen, immer noch wirken. Peter Murphy, der formvollendete Dandy mit der herrlich pathetischen Schnöselstimme, noch immer dürr, noch immer drahtig: Dass sich der Schwung seiner Geheimratsecken allmählich dem Schwung seiner Augenbrauen anpasst, macht ihn nur noch schöner. Die anderen: Einfach hübsch, dass sie auf der Bühne nicht erkannt werden wollen, die Sonnenbrillen kaum abzulegen bereit sind und trotzdem Zöpfe an komischen Stellen tragen. Man kann sich gut vorstellen, wie sie sich zu Hause immer mal wieder gemütlich die Wände schwärzen, den frisch gekauften Rosen die Köpfe abschneiden und dass sie das alles vor allem nur deshalb tun, um sich auch noch im hohen Alter die guten Drogen kaufen zu können.

Da steht man also, und man kann nicht anders. Dieses viele blaue Licht! Dieser Kult der Kälte! Diese herrliche Arroganz! Ist es nicht irgendwie auch albern, was man in den letzten Tagen alles getan hat? All diese indischen und thailändischen und malaysischen Filme auf der Berlinale: War es denn etwa nicht schön, damals, in der grauen, kalten Provinz, wo einem nichts übrig blieb als Modernisierungsverlierer und Grufti zu sein und wo man urbanen, technikfreundlichen Kulturen eher misstrauisch gegenüber stand? War es nicht höchst kleidsam, stets in der Disko die Arme zu verschränken, die Mundwinkel fallen zu lassen und jede Geste mit Langeweile zu füllen? Waren sie nicht schön, diese Winter von September bis Mai, diese Sinnlosigkeit, dieser Hass? Was soll man in Indien, in Thailand, in Malaysia, wenn es doch ohnehin überall nur dann auszuhalten ist, wenn die Rollos unten sind?

Es ist ein Schmerz in der Welt, und es ist ein Schmerz im Ohr, wenn Bauhaus ihre Lieder zum Besten geben. Da kreischen die Gitarren und werden manchmal durch einen Violinenbogen stimuliert, bis es fast an Zahnweh grenzt. Da wird in ein Saxophon geblasen und ein Instrument, das aussieht wie eine Kreuzung aus Melodika und Thermosflasche, bis man wünscht, man wäre in einem Schweigekloster. Das Einzige, was die Songs manchmal nur mit Mühe zusammenhält, ist die offenbare Liebe des Trommlers zum Lama-Buddhismus, seine Leidenschaft für harte, trockene Loops, die sich immer und immer wiederholen.

Es ist die Schuld dieses Schlagzeugs, dass man sich irgendwann dabei erwischt, sachte nach vorn und nach hinten zu schaukeln und sich dem sanften Rhythmus des verzückten Publikums anzupassen. Hier wird nicht exstatisch getanzt – aber nicht aus Mangel an Begeisterung, sondern wegen der Etikette.

Was ein guter Grufti ist, der hat eher ein entfremdetes Verhältnis zu seinem Körper. Der geht nicht so einfach mal kurz aus sich heraus. Der gefällt sich eher darin, ein wenig unbeteiligt zu wirken. So unbeteiligt wie Peter Murphy auf der Bühne etwa, dem übrigens, soweit dies aus der Entfernung zu beurteilen war, kein einziges Lächeln über die Lippen huschte.

SUSANNE MESSMER