Oh diese alten Schachteln!

Kann der White Cube der Kunst als Symbol des konservativen Zeitgeists gelten, gerät man in der Black Box des Kinos erst recht in die Falle: Das „Forum Expanded“ reagiert darauf, dass die Grenze zwischen Kunst und Kino immer durchlässiger wird

VON BRIGITTE WERNEBURG

Ist nicht der White Cube Symbol par excellence für das Phlegma unserer Zeit und die Beharrungskräfte in der Kunst? Trotz allem Hype um die Malerei: Die Gemälde sind längst abgehängt. Stattdessen haben Flachbildschirme und Projektionen die weiße Wand erobert. Sie aber mögen nicht den weißen, sondern den dunklen Raum. Die Black Box des Kinos ist ihr eigentliches Biotop, wo sie ihre volle Potenz entfalten. Denn nur hier erstrahlt das Licht, das sie mitbringen, mit ganzer Macht.

Doch dickfellig beharrt der Kunstbetrieb auf der alten, weißen Schachtel. Lieber schraubt man die Leistung der Beamer hoch und bringt immer mehr künstliches Licht gegen das natürliche in Stellung. Dass man deshalb besser sähe, ist eine Sache des Glaubens. Schon deshalb darf man sich im White Cube erst gar nicht setzen. Man könnte ja nach einer Weile erkennen, wie wenig man sieht. Aus diesem Grund findet sich kaum einmal ein Hocker oder ein Stuhl, von einem tiefen Sessel ganz zu schweigen.

Wer steht, der geht. Spätestens nach fünf Minuten. Das hat mit der Qualität des Kunstwerks wenig, viel aber mit dem Witz zu tun, den Sigmund Freud von dem armen Juden erzählt, der ohne Fahrkarte im Eilzug nach Karlsbad erwischt und rausgesetzt wird; der sich wieder einschleicht, wieder rausgeworfen und malträtiert wird und erneut den Zug erklimmt, wo er schließlich auf einen Bekannten stößt. Erschöpft gibt er auf dessen Frage, wohin er denn reise, zur Antwort: „Wenn’s meine Konstitution aushält – nach Karlsbad.“

Nun müssen wir nicht unbedingt nach Karlsbad und wollen unsere Konstitution deshalb auch nicht unbedingt testen. Es scheint daher keine schlechte Idee, wenn sich der Kunstraum endlich zum Kinoraum hin öffnet, dem die Dunkelheit und die weichen Polster gehören. „Expanded Forum“ nennen die Kunst-Werke in der Auguststraße und das Internationale Forum des Jungen Films ihre Fusion von Kunst und Kino, die sie im Austausch von Räumen und Arbeiten realisieren. Doch kaum sitzt man im Arsenal 1 und sieht in Sharon Lockarts „Pine Flat“ zehn Minuten lang ein Waldstück, auf das unentwegt der Schnee fällt, um danach zehn Minuten lang auf ein junges Mädchen zu starren, das lesend in einer sommerlichen Wiese sitzt, weiß man: Jetzt sitzt man erst recht in der Falle.

Denn die Black Box ist ein geschlossener Raum, mit laut ins Schloss fallenden Türen. Lockharts zehnminütige, in einer festen Kameraeinstellung gefilmte Szenen, die sich zu einem Film von zwei Stunden, zwanzig Minuten addieren, will man aber nicht durchgängig anschauen wie einen Spielfilm. Die Plansequenzen, in denen sie ein Kind oder eine Gruppe von Kindern beim Spielen in der freien Natur beobachtet, sind von einer exquisiten, meditativen Schönheit, die geradezu verlangt, nicht ein Bild nach dem anderen zu konsumieren, sondern lieber mal den Raum zu verlassen, einen Kaffee zu trinken und eine Zigarette zu rauchen, um sich erfrischt wieder auf das Porträt einzulassen, das sie von den Kindern eines kleinen Dorfs in der kalifornischen Sierra Nevada zeichnet. Die Aussicht, im voll besetzten Kino der notwendigen Bewegungsfreiheit beraubt zu sein, deprimiert.

Trotzdem: Mit dem Expanded Forum ist ein Anfang gemacht. Denn mit ihm zieht die Dunkelheit in den weißen Raum der Kunst ein, und in das Dunkel des Kinos dringt Licht und Luft durch die sich während „Pine Flat“ immer häufiger öffnenden Türen. Vor die eigentlichen Vorführräume aber hat Meggie Schneider mit ihrem „hobbykeller“ eine wilde Lounge gebaut, in der man Tischfußball spielen oder vor verschiedenen Fernsehmonitoren abhängen kann. Wäre die Verbindung zwischen Kino und Lounge durchlässiger, wäre die Situation ziemlich ideal. So wie sie sich in den Kunst-Werken zeigt, in Amos Gitais’ „News from House/News from Home“-Installation, die auf 20 Monitoren die Verbindung zwischen Filmbildern herstellt, die über einen Zeitraum von 25 Jahren entstanden sind. In ihnen versucht Gitai, das Schicksal eines palästinensischen Hauses im israelisch okkupierten Teil Jerusalems und seiner Bewohner zu rekonstruieren.

Hier ist man endlich Herr seiner Bewegung, Aufmerksamkeit und Zeit. Und schlendert man weiter, geht noch eine Treppe höher ins Dachgeschoss, lassen sich dort weitere erfreuliche Entdeckungen machen, wie die kleine Studie von Harun Farocki zur Montage von Schnitt und Gegenschnitt bei David Wark Griffith; oder die „Berlin Remake“-Doppelprojektion von Amie Siegel, die Szenen aus alten DEFA-Filmen neuen Filmszenen gegenüberstellt, die sie am gleichen Schauplatz aufgenommen hat – und handle es sich nur um einen alten Trafokasten, an dem schon der junge Manfred Krug einmal ein Kind ansprach; und schließlich die suggestive Erzählstimme, mit der Matthew Buckingham seine magentarot eingefärbten 16-mm-Luftaufnahmen des Hudson River kommentiert und dabei an dessen Kolonialgeschichte erinnert.

Bis 26. Februar, Kunst-Werke, Auguststr. 26, www.kw-berlin.de; Filmhaus Potsdamer Str. 2, www.fdk-berlin.de/de/forum