: Modernisierte Schurken
OPER Georg Friedrich Händels „Agrippina“ wurde an der Staatsoper und sein „Orlando“ in der Komischen Oper neu inszeniert: Sounddesign für Gangster, wilde Musik für Irre
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Der Zufall der Spielpläne hat Georg Friedrich Händel in diesem Monat ein Festival beschert. Es begann an der Staatsoper mit „Agrippina“, der ersten seiner vielen Opern. Der junge Regisseur Vincent Boussart hat mit dem schon zu Lebzeiten legendären Modedesigner Christian Lacroix zusammen eine Konzeption von Musiktheater auf die Bühne gebracht, die ihresgleichen sucht. Seine „Agrippina“ ist eine Art Life-Style-Magazin in Echtzeit. Ruhig und ohne jede Dramatik stellt seine Regie die Szenen zusammen wie die Fotostrecke eines sehr teuren Modejournals, gemacht für Leute mit sehr viel Geld, mäßig viel Geschmack und ohne jede Moral.
Die ganze Bühne funkelt im Glanz von reflektierenden Kunststofffäden, die als Vorhänge hintereinander den Raum teilen und zugleich ausdehnen. Ein genialer Einfall des Bühnenbildners Vincent Lemaire, der die Metapher des fallenden Vorhangs beim Wort nimmt und ihm die ursprüngliche theatralische Funktion zurückgibt. Denn ständig muss hier der Vorhang fallen über monströse Schurkenstücke von Gangstern, die die Chefetage eines Weltkonzerns besetzt haben. Natürlich lassen sie sich von Lacroix einkleiden, der ihnen ein Outfit verpasst, mit dem sie diesen Abend auf dem Laufsteg der Opernbühne bravourös bestehen.
Böser Glanz
Die Bilder bleiben im Gedächtnis, weil sie einen unglaublich bösartigen Glanz ausstrahlen. So muss es aussehen in der Welt des großen Geldes, wo selbstverständlich noch immer dieselben Spiele gespielt werden im Rom des Kaisers Nero. Dazu erklingt Händels Musik, die nun allerdings nicht mehr ist als ein ebenfalls sehr teures und luxuriöses Sounddesign – erwartungsgemäß makellos dirigiert von René Jacobs, gespielt von der Akademie für alte Musik und gesungen von erstklassigen Stimmen, wie dem Countertenor Bejun Metha.
Vorbei, die Staatsoper ist zum Repertoire zurückgekehrt, am Freitag hat die Komische Oper die Händel-Pflege übernommen. Nicht ganz so glamourös, dafür aber unterhaltsamer. Denn auch das ist nachzutragen: Man würde Boussarts Edelmagazin sicher gern in die Hand nehmen, darin blättern, aber vielleicht nicht fast drei Stunden lang, die seine Live-Aufführung dauert. An der Komischen Oper wird die Zeit mit sehr viel mehr Theater gefüllt, diesmal von dem Norweger Alexander Mørk-Eidem, der Händels „Orlando“ inszeniert hat. Auf der Bühne steht raumfüllend ein runder Betontank, der im Innern einen ganzen Wald enthält. Aber das stellt sich erst später heraus – und sorgt in der Premiere für Szenenapplaus. Davor macht es sich ein Rastaman mit Wasserpfeife am gut gepolsterten Rand des Orchestergrabens bequem und singt von den Sternen. Das ist Zarathustra. Bedienen lässt er sich von einem glatzköpfigen jungen Riesen im Frauenrock, einer Art Betschwester auch für alle anderen in diesem Stück über die Liebe, die von den Hormonen arg geplagt werden.
Das bliebt bis zum Ende komisch, weil Mørk-Eidem die Figuren von Herzen liebt, die er seinem Händel in die Schuhe geschoben hat. Das sind keine Ritterhelden und Jungfrauen mehr, sondern junge Leute, die sich im Wald herumtreiben, nicht so recht wissen, wer denn nun mit wem im Zelt schlafen soll, und deswegen auch mal ziemlich schlecht drauf sind.
Gereifte Komponisten
Vor allem Orlando, der irre Ritter aus Ariosts Versdrama aus dem 16. Jahrhundert, das auch Händel vertont und 1733 in London uraufgeführt hat. Dort fiel es glatt durch (und brachte ihm Verdruss mit dem Kastraten Senseo, dem Superstar von damals), an der Komischen Oper offenbart es heute vor allem die Meisterschaft des inzwischen gereiften Komponisten, der sich bei seiner „Agrippina“ noch brav an die Regeln hielt.
Jetzt aber darf sich in die große Liebesarie ein paar Takte lang die Stimme der Angebeten hineinschleichen, und wenn Orlando völlig von Sinnen glaubt, er sei im Hades und müsse Proserpina trösten, lässt Händel dazu nur noch zusammenhanglose, unregelmäßige und hektisch herumirrende Tonleitern erklingen.
Gesungen wird alles durchweg sehr schön, vor allem aber überzeugt der Dirigent Alessandro De Marchi durch seine Interpretation und teilweise Rekonstruktion des nur fragmentarisch überlieferten Werkes. Neben den Streichern des Hausorchesters spielen Spezialisten an historischen Instrumenten mit und erzeugen jenen hellen Barockklang, auf den man heute bei Aufführungen von Musik jener Zeit nicht mehr ernsthaft verzichten kann.
■ „Orlanda“ in der Komischen Oper 7., 13., 18. und 27. März.