Indianer sind die besseren Menschen

Terrence Malicks „The New World“ (Wettbewerb, außer Konkurrenz) erzählt die Geschichte der Indianerprinzessin Pocahontas. Malick huldigt der schönen Wilden im knappen Kleidchen – und verliert sich dabei in seiner naiven Vorstellung von Unschuld und paradiesischer Existenz unter Naturvölkern

VON CRISTINA NORD

Die Kamera fährt durch Schilf und hoch stehendes Gras, in dem der Wind spielt. Am Fuß eines Baumes lässt sie sich nieder, blickt zur Krone hinauf, dann schaut sie zu, wie Wasser über den glatten Fels eines Baches schießt. Sie sinkt unter die Wasseroberfläche, Fische schwimmen von hinten rechts nach vorne links durchs Bild; im Hintergrund, an der Wasseroberfläche, bewegen sich menschliche Gestalten, den Weg der Fische kreuzend. Die Natur in diesen Bildern ist nicht einfach nur Gras und Wasser, Stein und Fisch; vielmehr will sie mit Gott kommunizieren, voller Zauber sein, voller Geheimnis und Transzendenz.

Das jedenfalls wird Terrence Malick im Sinn gehabt haben, als er „The New World“ drehte. Malick ist ein Regisseur, bei dem der Ruf sich nicht an Schaffenskraft bindet, sondern an wenige Filme, die wie Solitäre aus der Filmgeschichte der letzten 33 Jahre herausragen. Sein Langfilmdebüt „Badlands“ (1973) etwa gehört zu den Schlüsselfilmen von New Hollywood; Martin Sheen und Sissy Spacek fliehen darin aus Kleinstadtverhältnissen, verstecken sich an einem Flussufer; doch ihre Beziehung ist rasch abgenutzt, sie ist weniger Amour Fou als freudlos. Dazu in aufregendem Kontrast steht, dass Malick die Natur auflädt; jedes Bild eines Grashalms, jedes Bild strudelnden Wassers pulst wie elektrisiert. „The Thin Red Line“ (1998) hat ähnliche Qualitäten: Malick steigt aus der Narration aus, vergisst den Krieg im Pazifik, von dem sein Film handelt, und kontempliert stattdessen Palmblätter oder die Bewohner entlegener Dschungeldörfer, bis sein Film einem tranceartigen Zustand verfällt.

„The New World“ nun verhandelt eine mythologisch aufgeladene Situation. Der Film setzt im Jahr 1607 ein, im späteren US-Bundesstaat Virginia. Es ist eine Situation des first contact, die die Eingangssequenz als Parallelmontage in Szene setzt: Englische Eroberer treffen auf Indianer – zunächst geht das gut, aber bald befindet sich John Smith (Colin Farrell) in Gefangenschaft der Indianer. Die Tochter des Königs, Pocahontas (Q’Orianka Kilcher), rettet ihm das Leben. Und auch sonst ist die Prinzessin von Nutzen für die Neuankömmlinge – so sehr, dass sie einige Jahre später nach England reist, wo sie 1616 stirbt. Mit Pocahontas tritt in die Überlieferung eine Figur ein, wie man sie schon hundert Jahre zuvor in Mexiko kennen lernte: Sie ist eine US-amerikanische Version der mexikanischen Malinche, die dem spanischen Conquistador Hernán Cortés als Übersetzerin diente. Malinche wurde zu einer mythologischen Figur, bald als Verräterin verleumdet, bald als Mutter aller Mestizen gefeiert. Pocahontas ihrerseits wird in Schulbüchern und Songs verehrt; zuletzt hat Walt Disney ihre Vita verfilmt.

Was Malicks Film betrifft, so konzentriert auch er sich auf die Liebe zwischen John und Pocahontas. Und er setzt etwas fort, was schon in „The Thin Red Line“ ein wenig befremdete: eine naiv vorgetragene Vorstellung von Unschuld und paradiesischer Existenz unter Naturvölkern. Im neuen Film wird diese Vorstellung üppig ausgemalt; man sieht mit Schrecken, wie sich die Kamera am schönen Gesicht Pocahontas’ weidet, an ihrer Gestalt im knappen Lederdress. Das Kostüm könnte auch aus den Exploitation-Filmen Roger Cormans stammen. Die Indianer sind die besseren Menschen, ihre Ansiedlung ist grün, licht, ein Ort des Überflusses; die Siedlung der Engländer hingegen wird zum Schlammloch, kaum ist es ein paar Wochen her, dass sie an Land gegangen sind. In einem inneren Monolog raunt John, die Indianer meinend: „Sie sind freundlich, sanft und treu.“ – „Sie kennen weder Gier noch Eifersucht, Besitz ist ihnen fremd.“ Die Indianer tollen herum wie Kinder, John und Pocahontas verhaken ihre Beine in ausgelassenem Toben. Jede Szene ruft: Diese Unschuld! Diese Existenz vor dem Sündenfall! Und schon fallen die Sonnenstrahlen durch die Baumkronen, als hätte der liebe Gott sie geschickt.

Doch diese Naturaufnahmen verfehlen die meditative Jenseitigkeit, die aus „Badlands“ und „The Thin Red Line“ in so guter Erinnerung ist. Sie verfehlen sie umso tragischer, je häufiger Malick das Gras, das Wasser, den Vogelflug oder den Himmel hinter den Baumkronen ins Bild rückt. „The New World“ behauptet den Zauber, statt ihn herzustellen. Ich sehne mich immer stärker nach einen Film von James Benning. Dessen nüchtern-mathematischer Blick auf Seen, Wolken und Himmel erzielt eben das meditative Moment, das Malick verspielt.