: Schont den Mittelstand!
BUNDESTAGSWAHL Das grüne Konzept für eine Vermögensabgabe gefährdet die Wirtschaftskraft der Kommunen
■ ist Oberbürgermeister von Tübingen. Er hatte schon auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im April, die das Wahlprogramm verabschiedete, vor zu hohen Belastungen der Wirtschaft gewarnt – ohne Erfolg.
Die Universitätsstadt Tübingen blickt auf das finanziell beste Jahr ihrer Geschichte zurück. Im Jahr 2012 erzielte der städtische Verwaltungshaushalt bei einem Volumen von 230 Millionen Euro einen Überschuss von 37 Millionen. Wir sind heute schuldenfrei.
Ein solches Ergebnis hat viele Ursachen. Strikte Sparpolitik, Einnahmeverbesserung, Wirtschafts- und Forschungsförderung, Investitionen in Infrastruktur, Kulturangebot und Kinderbetreuung. Der wichtigste Faktor war eine Verdreifachung der Gewerbesteuereinnahmen in nur einem Jahrzehnt. Bezahlt wird diese Steuer in Tübingen fast ausschließlich von mittelständischen Unternehmen. Städten, die finanziell weniger gut dastehen, fehlt meistens genau das: der unternehmerische Mittelstand.
Die Sorge des Südens
Aus hinreichend vielen Elogen auf den Mittelstand wissen wir, dass er mehr ausbildet, mehr Arbeitsplätze schafft, mehr investiert und mehr lokale Verantwortung übernimmt als transnationale Konzerne. Schon allein wegen der Steuerleistung mittelständischer Unternehmen muss jeder Kommunalpolitiker darauf bedacht sein, dass dieser ökonomische Kraftquell erhalten bleibt. Und nirgendwo ist der Mittelstand so stark wie in Baden-Württemberg. Deshalb sind wir im Süden so besonders besorgt, wenn es um diese Unternehmen geht.
Auch im wohlhabenden Baden-Württemberg lässt sich eine Abgabe auf privates Vermögen gut begründen. Diese Vermögen wären erheblich kleiner, hätte der Staat nicht die Banken gerettet. Daher ist es nur gerecht, wenn die Geretteten einen Teil der Schulden abtragen, die der Staat zur Rettung ihrer Vermögen machen musste. Auch ökonomisch ist dies unproblematisch, wenn hohe Freibeträge sichern, dass nur diejenigen zahlen müssen, die es sich leisten können.
Differenzierter muss eine Vermögensabgabe auf persönliches Eigentum an Unternehmen betrachtet werden. Während bei den Kapitalgesellschaften nur die privaten Anteilseigner großer Konzerne unter eine Vermögensabgabe fallen, würden Personengesellschaften, die dominierende Rechtsform des Mittelstands, direkt erfasst. Eine verfassungsfeste Vermögensabgabe oder Vermögensteuer kann privates Unternehmensvermögen nicht außen vor lassen. Das ist misslich: Es gibt ökonomisch und gesellschaftlich keinen Grund, Personengesellschaften eine Vermögensabgabe aufzuerlegen, aber Kapitalgesellschaften davon zu verschonen.
Der grüne Vorschlag für eine Vermögensabgabe löst dieses Problem zum Teil durch einen Freibetrag von 5 Millionen Euro, fünfmal mehr als für andere Vermögensarten. Dadurch werden alle Unternehmen mit einem Jahresertrag von weniger als einer halben Million Euro und etwa 90 Prozent der Personengesellschaften von der Vermögensabgabe befreit. Gleichwohl kann die Vermögensabgabe für größere und ertragsstarke Unternehmen eine erhebliche Belastung bedeuten. Und gerade solche Unternehmen sind in aller Regel die Treiber von Forschung, Entwicklung und Wohlstand in Baden-Württemberg.
Nachteile ohne Grund
Um das Problem zu verdeutlichen, diene folgende Beispielrechnung: Der Wert eines Unternehmens wird zur Bestimmung der Höhe der Vermögensabgabe nach dem Ertragswertverfahren ermittelt. Vereinfacht ist dies der zwölffache Jahresertrag; bei einem Jahresertrag von 10 Millionen Euro also ein abgabepflichtiges Vermögen von 120 Millionen Euro. Gehört das Unternehmen einem Ehepaar, so wird der Freibetrag von 5 Millionen Euro für beide abgezogen. Demnach fällt die Vermögensabgabe von 1,5 Prozent pro Jahr auf 110 Millionen Euro an. Das sind mehr als 1,6 Millionen Euro jährlich auf die Dauer von zehn Jahren.
Abgabepflichtig sind aber nicht die Firmen, sondern die Eigentümer. Im Schwäbischen ist es eher üblich, das Kapital in der Firma stehen zu lassen als liquide Mittel im Privatvermögen zu sammeln. Wenn die Eigentümer daher das Kapital erst entnehmen müssen, bevor sie daraus die Vermögensabgabe bezahlen, entsteht eine doppelte Steuerlast: zunächst nach dem grünen Steuerkonzept der Spitzensteuersatz inklusive Soli von 51 Prozent und aus diesem versteuerten Einkommen die Vermögensabgabe. Das Ehepaar aus dem Beispiel muss also 33 Millionen Euro aus der Firma entnehmen, um die Vermögensabgabe von 16 Millionen Euro bezahlen zu können. Das bedeutet eine Belastung des Unternehmens mit rund 33 Prozent des Ertrags über zehn Jahre. Die Gesamtsteuerlast kann auf Werte von 50 bis 65 Prozent steigen. Das verringert zwangsläufig die Eigenkapitalquote und hat damit eine Verschlechterung der Kreditwürdigkeit und Investitionskraft zur Folge.
Auch wenn ich jetzt zehn Jahre lang auf grünen Parteitagen ausgepfiffen werde: Gleichbleibende Steuern für große Kapitalgesellschaften einerseits und drastische Erhöhung der effektiven Steuerbelastung für ertragsstarke Personengesellschaften andererseits kann ein schwäbischer Oberbürgermeister nicht mittragen, weil es die Basis unserer Wirtschaftskraft gefährdet. Das Konzept muss für die Umsetzung angepasst werden.
Wie bei der Gewerbesteuer
Eine Lösung wäre gar nicht so schwer. Als Fritz Kuhn, Christine Scheel und Oswald Metzger noch grüne Finanzpolitik gemacht haben, standen wir vor einer ähnlichen Aufgabe. Die Gewerbesteuer war ungerecht, weil sie Freiberufler verschonte, Handwerker aber zur Kasse gebeten wurden. Daher haben wir die Anrechnung der Gewerbesteuerzahlung auf die Einkommensteuer durchgesetzt.
So könnte man auch jetzt vorgehen: Wer eine Vermögensabgabe auf Unternehmenseigentum zahlen muss, kann diese in voller Höhe mit der Einkommensteuer verrechnen. Das würde sicherstellen, dass der effektive Steuersatz nicht über den Spitzensteuersatz ansteigt. Richtig ist, dass die Vermögensabgabe dann weniger einbringen würde. Schon mittelfristig würde es sich aber auszahlen, dem Mittelstand das Eigenkapital für Forschung, Entwicklung, Ausbildung und Investitionen zu erhalten. Besonders für Baden-Württemberg, aber auch für alle, die weiterhin hoffen, dass dieses Bundesland in den Finanzausgleich einzahlt.
BORIS PALMER