piwik no script img

Archiv-Artikel

Das goldene Exil hat selbst Defizite bei der Pressefreiheit

ECUADOR Präsident Correa präsentiert sein Land als Hort der Informationsfreiheit – doch internen Kritikern drohen hohe Strafen

BERLIN taz | Mit Edward Snowden will Ecuadors Präsident Rafael Correa nach Wikileaks-Gründer Julien Assange möglicherweise einem weiteren verfolgten Kämpfer für die Informationsfreiheit Asyl gewähren. Das ist bigott: Denn in der südamerikanischen Republik landen aufmüpfige Journalisten, Dissidenten und Whistleblower aufgrund wesentlich geringfügiger Anschuldigungen vor dem Kadi.

Dabei ist in der 2008 verabschiedeten Verfassung Ecuadors vollmundig vom „Recht auf Kommunikation“ die Rede. Vor allem die Medien indigener Communitys sollen vom Staat gefördert werden. Dieses Versprechen ist Teil der „Revolución Ciuadana“, der Bürgerrevolution, die sich Correa auf die Fahnen geschrieben hat.

Tatsächlich sind die Zeiten vorbei, als eine paar reiche Familien via Zeitungen und Privat-TV den Meinungs- und Informationsmarkt beherrschten. Doch die neue Freiheit hat ihre Macken – gerade für indigene Medienmacher. Viele indigene Aktivisten liegen mit Correa über Kreuz, weil die linksnationalistische Regierung Ölförderung und Bergbau im Dschungel erlauben will. Sie fürchten, dass dabei die indigene Lebensweise dem Fortschritt geopfert werden soll.

Wie rigide die Regierung vorgeht, bekam der 23-jährige José L. zu spüren. Er arbeitete für eine lokale Station am Rand des Amazonasbecken, wo Radio oft die einzige Informationsquelle ist. Anfang März 2012 berichtete L. über 20.000 indigene Aktivisten, die in Richtung Quito zogen, um gegen Kupferabbau und den Zugriff von Regierung und privaten Investoren auf die Wasserversorgung zu protestieren. Die Reaktion kam prompt: Die Berichterstattung über die Demo sei „Hetze gegen die Regierung“. José L. ist kein Einzelfall.

Allein im Jahre 2011 wurden in Ecuador 189 Personen wegen Terrorismus und Sabotage angeklagt. Spektakulär war der Fall eines Journalisten der konservativen Zeitung El Universo. Weil er Correa als „Diktator“ beschimpft hatte, wurde sein Blatt zur Zahlung von 40 Millionen Dollar verurteilt – worauf der Präsident am Ende großmütig und mit autokratischer Pose verzichtete.

Dass sich die Justiz von der Regierung missbrauchen lässt, zeigt der Fall Mónica Chuji, die 2007 Ministerin für Kommunikation in Correas erstem Kabinett war – und inzwischen zu einer scharfen Kritikerin des Präsidenten wurde. Als Chuji 2011 in einem Interview einen Mann aus der Ministerialbürokratie als „neuen Reichen in der Regierung“ bezeichnete, kam die Rechnung umgehend: ein Jahr Haft und 100.000 US-Dollar Geldstrafe. Auch hier kam es nie zur Vollstreckung – ohne dass das Urteil je aufgehoben wurde.

„Reporter ohne Grenzen“ kritisierte am Montag Ecuadors Umgang mit den Medien und verwies auf ein neues Mediengesetz, das zum Einfallstor für Zensur werden könnte.

Correas Bürgerrevolution ist ein ambitionierter Versuch, das Land umzukrempeln. Das Rezept ähnelt dem des verstorbenen Hugo Chávez in Venezuela. Mit den Gewinnen aus dem Export von Öl und Kupfer werden Sozialsystem, Staatsapparat und Infrastruktur verbessert. Allerdings ist Correa – anders als es Chávez war – kein Volkstribun, sondern Technokrat. Trotzdem erinnern der autoritärer Stil und die caudillohafte Pose an den Venezolaner: Wer die Bürgerrevolution stört, kann sich auf etwas gefasst machen.

Zudem kritisiert auch Correa gerne laut und massenwirksam die USA. Dabei ist Ecuadors Verhältnis zu Washington durchaus ambivalent: Das Land hat keine eigene Währung, sondern nutzt den US-Dollar. Zudem geht die Hälfte aller Exporte in die Vereinigten Staaten. Trotzdem scheint Correa das Risiko, die Macht im Norden zu sehr zu provozieren, für überschaubar zu halten. Denn die Abhängigkeit Ecuadors ist nicht mehr so massiv wie früher. Das Land profitiert vom hohen Ölpreis. Und wenn die Regierung Geld braucht, ist sie längst nicht mehr auf die USA angewiesen, sondern bekommt von Venezuela, China und Brasilien Unterstützung.

Warum Correa Snowden aufnehmen will, liegt auf der Hand. Er inszeniert sich als standhafter Kämpfer gegen den großen Bruder im Norden – und für die Freiheit. STEFAN REINECKE