: „Es wird zu viel über Pflicht und Zwang geredet“
INTERVIEW SABINE AM ORDE UND LUKAS WALLRAFF
taz: Frau Böhmer, graust es Ihnen manchmal, wenn Sie das Radio einschalten und Ihre Parteifreunde reden hören?
Maria Böhmer: Klares Nein. Warum sollte es mir da grausen?
Weil fast jeden Tag CDU-Politiker Vorschläge machen, die von einem Grundverdacht gegen Einwanderer ausgehen – nicht erst seit dem Karikaturenstreit. Ist das im Sinn der Integrationsministerin?
Ich habe einen ganz anderen Eindruck. Seit die Bundeskanzlerin das Thema Integration als eines der zentralen Zukunftsthemen ausgewiesen hat, auch durch die Einrichtung eines Staatsministeriums für Integration im Kanzleramt, ist ein neuer Aufbruch da. Ein Paradigmenwechsel. Es geht nicht mehr um den alten Streit um Zuwanderung ja oder nein. Jetzt wird an vielen Stellen deutlich: Die Union kümmert sich um Integration.
In der öffentlichen Debatte, die von der Union geführt wird, geht es aber vor allem um Generalverdacht und Repression – besonders gegen Muslime. Aktuelle Beispiele: Der Einbürgerungstest in Baden-Württemberg und die Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes.
Das repressiv zu finden ist der eine Blickwinkel. Der andere ist: Was kann hier an Beiträgen zur Integration geleistet werden? Die Debatte um den Gesprächsleitfaden aus Baden-Württemberg kann dafür ein guter Ansatz sein.
Dieser Test war so konzipiert, dass speziell Muslime befragt werden sollten – wirkt ein solcher Generalverdacht nicht desintegrativ?
Die Baden-Württemberger waren in einer schwierigen Situation, sie haben völliges Neuland betreten. Inzwischen haben sie vieles richtig gestellt. Der Leitfaden richtet sich nicht mehr ausschließlich an Muslime, auch die Fragen werden weiterentwickelt. Mir geht es aber vor allem um das Anliegen, das dahinter steht: den Menschen Kenntnisse über unsere Verfassung, unsere Kultur und unsere Werte zu vermitteln. Das ist die Grundlage für Integration. Deshalb muss man jetzt die positive Entwicklung an dieser Debatte sehen und vorantreiben. Das Beste wäre eine bundesweit einheitliche Lösung.
Nach Vorstellung der CDU-Innenminister soll künftig jeder Einbürgerungswillige einen Kurs besuchen. Wie stellen Sie sich das genau vor?
Ich halte es für selbstverständlich, dass man den Einbürgerungskurs mit einem Test und einem Zertifikat abschließt, das machen die Amerikaner auch so. Dort gibt es eine Einbürgerungsfibel, entsprechende Kurse, und abschließend wird getestet. Hessen und Niedersachsen wollen, dass wir in Deutschland einen ähnlichen Weg beschreiten. Das finde ich richtig.
Der hessische Innenminister hat bereits gesagt, dass er bei einem solchen Test auch persönliche Einstellungen abfragen will – zum Beispiel, was die Gleichberechtigung der Frau angeht. Finden Sie das auch richtig?
Natürlich muss das rein. Es geht nicht nur um Wissen, es geht auch um Identifizierung mit unseren Werten. In den Kursen sollen nicht nur Kenntnisse über den Wortlaut von Artikel 3 weitergegeben werden, sondern auch Beispiele, was das im Alltag konkret bedeutet, etwa dass Zwangsheiraten hier nicht geduldet werden.
Eine beliebte Forderung ist derzeit auch: Deutschpflicht auf Schulhöfen!
Ich halte es für falsch, wenn jetzt so viel über Pflicht und Zwang gesprochen wird. An der Berliner Schule, die die Debatte ausgelöst hat, haben Lehrer, Schüler und Eltern auf freiwilliger Basis vereinbart, dass auch auf dem Schulhof Deutsch gesprochen wird. Dieses Beispiel sollte Schule machen. Es geht um freiwillige Vereinbarungen, nicht um Verordnungen von außen. Das ist mir wichtig.
Ist Ihre Partei bereit für so differenzierte Ansätze? Der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger fordert im Wahlkampf durchaus eine Deutschpflicht auf Schulhöfen. Und ein Hamburger CDU-Politiker meint sogar, „Schüler, die nicht Deutsch sprechen, sollen den Schulhof fegen.“
Das mit dem Fegen auf den Schulhöfen habe ich nicht so ernst genommen. Mit dem Androhen von Sanktionen kommen wir nicht weiter. Im Übrigen sind wir uns in der Union ja einig, dass Schulen mehr Autonomie bekommen sollten. Generell ist wichtig, dass Sprachförderung schon im Kindergarten beginnt. Sprache ist der Schlüssel zur Integration.
Darin sind sich inzwischen alle einig. Dennoch passiert zu wenig, auch weil Ländern und Kommunen die Mittel fehlen. Müsste da nicht Geld vom Bund kommen, ähnlich wie beim Ganztagsschulprogramm?
Nein, wir haben hier eine klare Zuständigkeit, und daran sollte man auch festhalten.
Muss der Bund nicht stärkeren Einfluss nehmen? Stattdessen geben Sie die letzten Kompetenzen in der Bildungsfrage an die Länder ab.
Ich möchte keine Nivellierung auf niedrigem Niveau. Der Wettbewerb ist wichtig, das zeigen ja auch die Pisa-Ergebnisse. Wenn es um eines meiner ganz zentralen Anliegen geht, nämlich dass wir den Kindergarten beitragsfrei stellen, hat das unionsregierte Saarland schon eine Vorreiterfunktion übernommen.
Frau Böhmer, Sie sind die erste Beauftragte für Integration, die von der CDU gestellt wird. Was wollen Sie anders machen als Ihre grüne Vorgängerin?
Zunächst einmal hat wohl niemand erwartet, dass die erste Integrationsministerin von der Union gestellt wird. Das zeigt: Integration ist für uns eine zentrale Zukunftsaufgabe. Ich will das an einer Zahl deutlich machen: Durch die Bevölkerungsstatistik wissen wir, dass schon 2010 in den großen Städten etwa die Hälfte der unter 40-Jährigen einen Migrationshintergrund haben wird. Das bedeutet, wir können dort nicht mehr von Mehrheit oder Minderheit ausgehen. Das bedeutet auch, dass wir zu einem wirklichen Miteinander kommen müssen.
Was hat die Politik da bisher versäumt?
Die Union ist zu lange davon ausgegangen, dass die so genannten Gastarbeiter wieder in ihre Heimatländer zurückkehren würden. Der rot-grüne Traum von der multikulturellen Gesellschaft wiederum hat nur zu einem Nebeneinander geführt, nicht zu einem Miteinander. Deshalb haben wir heute große Integrationsdefizite. Wir müssen von diesen alten Sichtweisen weg.
Und wohin?
Wir müssen die Integrationspolitik sehr konkret gestalten: Da sind die Bereiche Sprache, Bildung und Arbeitsmarkt. Dann die Frauen- und Menschenrechte, also die Probleme Zwangsverheiratungen, Ehrenmorde, Zwangsprostitution. Und das Zuwanderungsrecht muss evaluiert und – wo notwendig – verbessert werden. Dabei sage ich auch meinen Parteifreunden: Wir müssen von Kettenduldungen zu einer Bleiberechtsregelung kommen.
Wie verstehen Sie Ihre Rolle? Müssen Sie das Porzellan wieder zusammenkleben, das andere CDU-Minister mit ihrer Law-and-Order-Politik bei den Migranten zerdeppern?
Diese Gegenüberstellung „Law and Order gegen Migranten“ gibt es doch heute gar nicht mehr. Das sind Bilder von gestern.
Ach? Sie selbst haben doch gerade erst versucht, Bundesinnenminister Schäuble bei der Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes zu bremsen.
Natürlich gibt es manchmal Meinungsunterschiede, wie bei der Einführung eines Mindestnachzugalters bei ausländischen Ehegatten. Herr Schäuble und ich haben aber dasselbe Ziel: Wir wollen Zwangsverheiratungen verhindern. Dabei kann die Einführung einer Nachzugsaltersgrenze helfen. Ich schlage vor, dass 18 Jahre das richtige Alter ist, weil junge Menschen dann mündig sind.
Schäuble will Nachzug erst ab 21 Jahren erlauben.
Ja, aber wir wollen beide ein Zeichen setzen, dass junge Mädchen – das geht ja mit 13, 14 Jahren los – nicht verheiratet werden dürfen.
Experten bezweifeln, dass man so Zwangsheiraten verhindern kann.
Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Ich bin auch dafür, dass ein erster Deutscherwerb schon im Heimatland stattfinden muss. Denn bei uns leben junge Frauen auch deshalb abgeschottet, weil sie nicht kommunizieren können.
Wie soll das funktionieren?
Es muss ja kein Deutschkurs beim Goethe-Institut sein. Aber man kann doch verlangen, dass eine junge Frau, die nach Deutschland kommen will, auch im Heimatland schon erste Sprachkenntnisse erwirbt.
In Deutschland werden Konflikte weitgehend friedlich ausgetragen – anders als etwa in Frankreich oder Großbritannien. Ist das nicht auch ein Erfolg des eher einwanderungsfreundlichen Ansatzes der früheren Regierungsparteien?
Ich habe nicht den Eindruck, dass diese positive Sicht der multikulturellen Gesellschaft so in unserem Land verankert ist. Ich finde es aber bemerkenswert, wie die muslimischen Verbände hier auf den Karikaturenstreit reagiert haben. Sie sagen sehr deutlich, dass sie die Regeln, die in Deutschland gegeben sind, unsere demokratischen Regeln, anerkennen. Sie lehnen Gewalt als Mittel der Konfliktlösung eindeutig ab. Das halte ich für eine ganz entscheidende Botschaft im Dialog der Kulturen. Das zeigt, dass wir bei dieser großen Aufgabe in Deutschland eine relativ gute Ausgangsposition haben.