portrait : Wem das Unheil schwant
Die an der Vogelgrippe verendeten Schwäne am Strand von Thessaloniki sind im Herkunftsland des Schwanengesangs gestorben. Die Menschen in der Antike glaubten, dass der größte Schwimmvogel Mitteleuropas vor seinem Tode ein Klagelied anstimmt. Allerdings sind Schwäne gar keine besonders begabten Sänger, sondern tröten eher – sowohl der bei uns heimische Höckerschwan mit dem roten Schnabel als auch der hier überwinternde Singschwan mit dem gelbschwarzen Schnabel. Denn zoologisch gesehen sind Schwäne auch nur Gänse, ein Zweig der großen Entenfamilie. Deshalb sollten sie, schrieb der ungarische Schriftsteller Ferenc Molnar, „niemals an Land kommen“, denn dann watscheln sie und „sehen aus wie Gänse“. Dass der Schwan in Deutschland zum Sinnbild von Schönheit und jungfräulicher Reinheit reüssierte, beendete in unseren Breiten seine Verwendung im Kochtopf. Noch im Barock zierte er, gespickt und gefüllt, mit und ohne Federkleid festliche Tafeln, obwohl sein Fleisch als schwer verdaulich galt. Damit war in der Romantik Schluss, als den Mädchen Schwanenhals und schneeweißer Busen angedichtet wurden. Und heutzutage ist die Empörung groß, wenn so einem zutraulich am Ufer herumpaddelnden Sonntagsbraten von Menschen anderer Kulturkreise der lange Hals umgedreht wird. Auch Schwanenfedern sind einst nicht nur Sinnbild unbefleckter Zartheit gewesen, sondern wurden gern in Federbetten gestopft.
Dabei sind Schwäne wehrhaft und können mit ihren kräftigen Schwingen durchaus einem kläffenden Stadthund das Genick brechen. Sie leben monogam, verteidigen ihr Revier und ihre Jungen energisch mit Zischen und Fauchen, schlagen mit den Flügeln und marschieren drohend auf ihre Gegner zu.
Der Schwan ist in vielen Ländern ein Sagen- und Märchentier. Zeus ließ sich Federn wachsen, um Leda zu bezirzen, die ihm zwei Eier legte. In arabischen Märchen verwandeln sich Prinzessinen und schöne Hexen bei Nacht in Schwäne, und die Geschichten enden tragisch für jene Ehemänner, die ihnen das Federkleid fortnehmen. Im Grimm’schen Märchenbuch muss die kleine Schwester ihre sechs in Schwäne verzauberten Brüder erlösen, indem sie ihnen Gewänder aus Nesseln strickt. Ein wenig Tragik klebte also immer schon am Schwan.
Dass einem oder einer etwas schwant, ist in der germanischen Mythologie begründet: Der Schwan wurde den Nornen, den Walküren und weisen Frauen zugeordnet, die in die Zukunft schauen konnten. Und an eine verkehrte Welt glaubten die ersten Europäer in Australien – denn dort sind die Schwäne schwarz.
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