So hilflos wie Julia Jentsch

Der große Regisseur Peter Zadek inszeniert „Der bittere Honig“ am kleinen St. Pauli Theater in Starbesetzung – das Theatermodell der Zukunft?

Peter Zadek im Hamburger St. Pauli Theater – das fühlt sich an wie neulich die Gastregie Katharina Thalbachs an der Komödie am Kurfürstendamm Berlin: gewöhnungsbedürftig und stilistisch diskrepant für beide Seiten, aber mit durchaus höherer Logik. Die zugkräftigen Namen der Regisseure schärfen das Profil des frei finanzierten Privattheaters durch den Anspruch auf Qualität und garantieren ein volles Haus. Im Gegenzug kann die Regie Leidenschaften ausleben, die im Stadttheater wenig Anklang finden: einen Hang zum klamottigen Unterhaltungsfach oder ausufernde Probenzeiten. Und wenn es schief geht, zieht man relativ unbeschadet weiter.

So oder so lebt Zadek in der nächsten Zeit noch mehr aus dem Koffer, als er es immer schon tat. „Der bittere Honig“ ist nur Vorbote einer speziellen Betriebsform des Theaters, die der Regisseur seit einiger Zeit nicht nur zum bewährten Festivalmodell, sondern zur Zukunft des Theaters erklärt: sich finanzstarke Partner zu suchen und aufwändige Koproduktionen reihum auf Tour zu schicken. Ab September wandert „Was Ihr Wollt“ als erstes Großprojekt der my way production, einer freien Produktionsgesellschaft, gegründet mit Tom Stromberg, durchs Land. Bis dahin wird „Der bittere Honig“ nach dem St. Pauli Theater auch bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen sowie an Theatern in Ludwigshafen und Luxemburg zu sehen sein, die sich gemeinsam das Restrisiko teilen: die Kunst selbst. Das ausgetüftelte Reisesystem garantiert nicht blanko den besseren Abend. Wo Zadek eingekauft ist, erhält man dieses Mal ein Stück Tingeltangel-Revue zum Mitschunkeln, die so alt aussieht wie aus Prä-Technicolor-Zeiten.

Dabei ist eine Uraufführung angekündigt. In einem texanischen Archiv fand Zadek die Urfassung von Shelagh Delaneys Stück aus jenen Fünfzigerjahren, als junge britische Dramatik zum ersten Mal zum Synonym wurde für ungeschliffen, hart und schnell. Bei Zadek dagegen: mehr lauschige Sozialromantik als -dramatik. Links auf der Bühne dekorative Schäbigkeit wie in einer Hollywood-Musicalkulisse, über der Straßenlaterne wird ein Mond eingeblendet, wenn der Pianist allerlei Jazziges anstimmt. Rechts ein Sofa, schäbiges Mobiliar in dem ärmlichen Appartment, wo die Verhältnisse schon nach wenigen Szenen völlig klar sind und sich doch ziellos über drei Stunde dehnen: Mutter und Tochter gehen sich auf die Nerven, kommen nicht voneinander los, das Schicksal dreht sich im Kreis, und die Tochter wird schwanger sitzen gelassen, wie es zu jung auch der Mutter widerfuhr.

Eva Mattes spielt ein Monstrum von Muttertier. In engen Fummeln aufgedonnert als keifende Kiez-Soubrette. Das Publikum wird ihr bei der Aufforderung zum Mitsingen genauso hilflos zum Opfer wie Julia Jentsch als Tochter Jo. Die stille Widerborstigkeit, mit der sie ihre Rolle in die Tragödie zu ziehen versucht, hat keine Chance und lässt sie blass wie ein Schulmädchen dastehen. Uwe Bohm, wie so oft bei Zadek dabei, spielt einen schmierigen Wiener, Ronald Zehrfeld ist als schwarzem Matrosen das Gesicht in Art des Othello dunkel geschminkt, und einmal wird Bill Ramseys „Souvenirs, Souvenirs“ eingespielt. Doch für die sich selbst imitierende Traditionsverwaltung müsste man schon andere Register ziehen. Das wäre ein Spiel mit höheren Standards, die man dann bedenkenlos auf Reise schicken könnte. SIMONE KAEMPF