Städte fürchten US-Investoren

Viele Städte verkauften ihre Infrastruktur an amerikanische Geldgeber – und müssen jetzt bei jeder Baumaßnahme Angst vor deren Schadenersatzforderungen haben

Stuttgart konnte Brücke nicht bauen; sie führt über Kläranlage von US-Investoren Berater bieten Tipps an, wie mit kritischen Nachfragen von Bürgern umzugehen ist

KÖLN taz ■ 26 Städte haben es einst gewagt: Mit neumodischen „Cross Border Leasing“-Verträgen wollten sie ihre Kassen aufbessern. Doch inzwischen werden die Risiken dieser Finanzierungsmethode immer unüberschaubarer. Nun hoffen 25 Städte auf Selbsthilfe; eilig haben sie eine Notgemeinschaft „CBL-Netzwerk des Deutschen Städtetages“ gegründet.

Dabei schien Cross Border Leasing so faszinierend simpel: Von 1994 bis 2004 haben die Städte etwa 150 Leasingverträge abgeschlossen und für 100 Jahre ihre Kanalisationen, Messehallen, Wasserwerke, U-Bahnen oder Schienennetze an US-Investoren verkauft – seither mieten sie die Einrichtungen zurück.

Die amerikanischen Investoren griffen gern zu, konnten sie doch diese Transaktionen als Auslandsinvestition deklarieren und damit die Steuern auf ihre sonstigen Gewinne reduzieren. Doch im November 2004 stoppte der US-Kongress diese missbräuchliche Steuergestaltung. Seither klopfen die US-Steuerbehörden alle Verträge darauf ab, ob es sich um Scheingeschäfte handelt. Die Investoren haben pro Vertrag zwischen 150 Millionen und 1,5 Milliarden US-Dollar langfristig gebunden. Nun wollen sie aussteigen, möglichst zu Lasten der Städte. Bei zahllosen Verwaltungsakten müssen diese nun aufpassen, dass sie den Investoren keinen Grund für Kündigung und Schadenersatzansprüche liefern.

Ohne Rechtsbeistand ist dies kaum noch zu leisten. Für „fachanwaltlichen Rat“ hat Recklinghausen 2005 „überplanmäßige Ausgaben“ von 6.286 Euro ausgewiesen. Recklinghausen hat 2003 seine Kanalisation an einen US-Investor verkauft und mietet sie seitdem zurück. Nun heißt es aufpassen, um dem Investor keinen Vorwand zu liefern: So musste sich Recklinghausen etwa beraten lassen, als die Stadt das Grundstück eines Tierheims an den bisherigen Pächter verkaufen wollte. Problematisch wurde es auch, als sie für die Farbenfabrik Scholz eine kurze Werkstraße anlegen wollte. Wann immer ein Grundstück betroffen ist, unter dem die Kanalisation verläuft, muss der Investor jede kleine Veränderung genehmigen. Recklinghausen ist der CBL-Notgemeinschaft im Städtetag beigetreten und hat im Haushalt 2006 dafür eine Art Mitgliedsbeitrag von 15.000 Euro eingeplant.

Davon dürfte auch die Düsseldorfer Beratungsfirma „DueFinance“ profitieren. Einst hat sie Städte beim Cross Border Leasing beraten; jetzt bietet sie – wieder gegen Honorar – eine „Risiko-Inventur“ an. Dazu gehören auch Tipps, „wie mit Bürger- und Presseanfragen umzugehen ist“.

Auch die Berliner Verkehrsbetriebe betreiben inzwischen Risikomanagement: Sie haben zahlreiche U-Bahnen verkauft und unterhalten seit 2004 „laufend engen Kontakt mit führenden deutschen und US-amerikanischen Anwaltskanzleien, den beteiligten Vertragsparteien sowie namhaften Arrangeuren“. Die Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe und der Leipziger Kommunalen Wasserwerke sind schon mehrmals nach New York und Chicago geflogen, um mit den sieben verschiedenen Investoren über die Beendigung der Verträge zu verhandeln – bisher erfolglos.

Die Investoren wissen natürlich, dass deutsche Städte hoch verschuldet und unsichere Zahler sind. Die CBL-Verträge regeln dieses Risiko: Wenn die Städte ihre Leasingraten für das Rückmieten der Straßenbahnen und Wasserwerke nicht mehr aufbringen können, müssen die jeweiligen Bundesländer einspringen. Deshalb muss auch die Zahlungsfähigkeit der Bundesländer ständig überwacht werden. Das tun die Rating-Agenturen wie Standard & Poor’s. Sinkt die Bonitätseinstufung (Rating) der Bundesländer, müssen die Städte zusätzliche Sicherheiten beibringen. So sank beispielsweise das Rating für Nordrhein-Westfalen Ende 2004 wegen weiterer Schulden; damals musste die Stadt Köln dem Investor John Hancock das Recht einräumen, die verleasten Messehallen notfalls selbst zu betreiben. Das steht jetzt im Kölner Grundbuch.

In Stuttgart teilte die Verwaltung den überraschten Ratsmitgliedern mit, dass die seit langem geplante neue Neckarbrücke nicht gebaut werden kann. Da sie teilweise über das Grundstück der verkauften und zurückgemieteten Kläranlage Stuttgart-Mühlhausen verlaufen würde, wäre das „ein dauerhafter Eingriff in den Vermögenswert“. Das Risiko von Schadenersatzansprüchen des Investors in Millionenhöhe könne nur vermieden werden, wenn „wir darauf verzichten, die Trasse über das Grundstück des Hauptklärwerks zu führen“. Eine Ersatzlösung wird vermutlich zum Verlustgeschäft.

Werner Zurnieden, „Projektleiter Sonderfinanzierungen“ bei den Dortmunder Stadtwerken, sieht die Probleme beim Cross Border Leasing. Aber er und seine Kollegen haben das nächste Abenteuer fest im Blick: Die Erfahrungen aus Cross Border Leasing „lassen sich wiederverwenden“ – für Public Private Partnership. WERNER RÜGEMER