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Archiv-Artikel

Tiefenbohrung in unbestimmter Gegend

NATIONALSOZIALISMUS Nach dem Auswärtigen Amt wird nun die Geschichte des Arbeitsministeriums zwischen 1933 und 45 erforscht. Unwahrscheinlich, dass dies so erfolgreich wird wie „Das Amt“

Unter Adenauer gab es eine Quote für ehemalige Nazis, die von den Alliierten noch entlassen worden waren

Johannes Krohn war Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium. Er hatte in der Weimarer Republik Karriere gemacht und fiel auch in der NS-Zeit auf die Füße. Krohn war nicht untypisch für das Reichsarbeitsministerium (RAM) in jenen Jahren. Bis 1933 gab es dort viele Sozialdemokraten und Mitglieder des Zentrums. Nach 1933 blieben die meisten, nur an der Spitze hatten nun unternehmerfreundliche Deutschnationale das Sagen. Aber keine Nazis. Rudolf Schmeer war Stellvertreter von Robert Ley in der NS-Organisation Deutsche Arbeitsfront (DAF) und von anderem Schlag als Krohn: ein grober Nazi-Aktivist.

Bei einem informellen Treffen von RAM und DAF über Löhne kamen sich Schmeer und Krohn derart in Haare, dass sie sich duellieren wollten. Allerdings hatte Hitler 1937 Duelle verboten, nachdem ein verdienter SS-Mann sich wegen Liebesdingen hatte erschießen lassen. So ging es natürlich nicht: Man sollte für den Führer sterben.

Diese Episode tippte Rüdiger Hachtmann, Historiker in Potsdam, bei einem Symposium im Arbeitsministerium in Berlin an, das Wissensstand und Ziele des Forschungsprojektes über das RAM präsentierte. Die Anekdote beleuchtet zweierlei: In der Nazizeit herrschte dauerndes Gerangel zwischen Behörden, Ministerien und NS-Organisationen. Nach 1933 wurde das RAM erst zu einem „Superministerium“, so Alexander Nützadel, aufgebläht, das mit der DAF konkurrierte. Im Krieg hingegen wurde das Superministerium faktisch durch eine neue, von Fritz Sauckel geführte, NS-Organisation entmachtet.

Zweitens: Dieses Gerangel ist bei der Ministerialbürokratie keinesfalls mit Skepsis gegenüber der Nazi-Ideologie zu verwechseln. Es gab vielmehr eine „kooperative Konkurrenz“, so Hachtmann, die stets im Sinne der Parteiziele war. So funktionierten die Arbeitsämter im besetzten Polen und jenseits davon im Osten höchst effektiv. Ohne sie wären Erfassung und Verschickung von Millionen Zwangsarbeitern ins Reich kaum möglich gewesen.

Das Personal im Arbeitsministerium blieb jedenfalls nicht nur 1933, sondern auch 1949 erstaunlich konstant. Nur Sauckel wurde in Nürnberg verurteilt. Sonst niemand. In der Adenauerzeit gab es extra eine Quote für Ex-Nazis. Bei Neuanstellungen waren 20 Prozent für NSDAP-Mitglieder reserviert, die 1945 von den Alliierten herzloserweise auf die Straße gesetzt worden waren. Krohn brachte es in der Bundesrepublik zu Ansehen und Vermögen, DAF-Mann Schmeer zum braven Kaufmann.

Etwas wolkig blieb, was nun genau dringlicher Erforschung harrt. Wie jedes Thema ist auch die Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung im letzten Jahrhundert tendenziell uferlos. Man kann Genderaspekte erforschen, die politischen Biographien der Akteure oder wie eng das RAM in den Holocaust involviert war. Oder, es ließe sich fragen, ob die verblüffende personelle Kontinuität ein Hinweis auf Tieferliegendes ist: nämlich auf eine subkutane Kontinuität in der Sozialpolitik von der Weimar Republik über die NS-Zeit bis heute. Die These, dass die Volksgemeinschaft die Blaupause des bundesdeutschen Sozialstaats war, ist gerade en vogue. Übersehen wird dabei, dass im NS-Staat die nach der Wirtschaftskrise 1929 geringen Löhne nicht stiegen und das RAM eher Unternehmerinteressen im Auge hatte.

Alexander Nütznadel, Leiter des Forschungsprojektes, sprach des öfteren von Tiefenbohrungen, die man ansetzen werde. Wo genau Öl vermutet wird, blieb offen. Dass keine präzisere Beschreibung des Erkenntnisinteresses zu hören war, dämpft Erwartungen auf fundamentalen Erkenntnisgewinn. 2014 gibt es den ersten Zwischenbericht, die Veröffentlichung des Ergebnisses ist 2017 geplant.

STEFAN REINECKE