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Archiv-Artikel

Beethoven als Revolutionsmusik

WLDE GEIGERIN Konzerte geben ist für Patricia Kopatchinskaja auch ein Rollenspiel. Sie stellt sich vor, der Komponist sitze im Publikum

Als Nichtösterreicherin könne das Mädel doch keinen Mozart spielen, hieß es in ihrer Kindheit

VON DAGMAR LEISCHOW

Ihr Markenzeichen: Sie tritt stets barfuß auf. Auch klingt bei Patricia Kopatchinskaja, Jahrgang 1977, nicht jedes Stück perfekt: „Perfektion und Schönheit sind für mich nur zwei Ausdrucksmöglichkeiten von vielen.“ Darum klebt die Geigerin nie an jeder Note. Bisweilen fängt sie im Konzert plötzlich an zu improvisieren. Zum Beispiel spielte sie Sofia Gubaidulinas „Der Seiltänzer“ zur Verblüffung des Publikums auf dem Rücken liegend.

Oder sie entfacht bei Beethovens „Kreutzer-Sonate“ wahre Gewaltszenen. Selbst im heiteren Schlusssatz entlockt sie ihrem Instrument messerscharfe Töne. Die treffen dann auf die entfesselten Klänge des türkischen Pianisten Fazil Say, mit dem sie ihre erste CD eingespielt hat: Neben Beethoven steht eine Violinsonate, die Say eigens für sie komponierte. Sie bringt Ravel zum Grooven und verweist mit Bartóks rumänischen Volkstänzen auf ihre osteuropäische Herkunft: „Weil meine Eltern Volksmusiker sind, habe ich Folklore quasi im Blut.“

Mutter Emilia spielt ebenfalls Geige, Vater Viktor Zymbal eine Art Hackbrett. Schon als Kind ging Patricia Kopatchinskaja, die heute in Bern lebt, mit den beiden in der gesamte Sowjetunion auf Tournee. Bis die Familie 1989 nach Österreich flüchtete – „mit drei Koffern und einem Hund“. Danach begann ein völlig neues Leben für die Zwölfjährige. Die erste Zeit verbrachte sie in einem Flüchtlingslager, sie sprach die Landessprache nicht, sie und ihre Familie mussten ihre Fingerabdrücke bei Ämtern hinterlassen. Als Moldawier waren sie Ausländer, man begegnete ihnen zuweilen mit einer gewissen Skepsis.

Das galt auch für die künstlerische Ebene. Als Nichtösterreicherin könne das Mädel doch keinen Mozart spielen, hieß es. All diese Erfahrungen hinterließen Spuren. Patricia Kopatchinskaja lernte sich anzupassen. In jeder Kultur, überall. Zugleich wurde ihr bewusst: „Letztlich kann ich mich nur auf mich selbst verlassen.“

Fiktion Uraufführung

Folgerichtig ging sie stets ihren eigenen Weg. Der führte sie zunächst an die Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst, wo sie Komposition und Geige studierte. Mit 21 Jahren wechselte sie als Stipendiatin ans Berner Konservatorium. Dort machte sie 2000 ihr Diplom mit Auszeichnung. Später dann arbeitete sie mit namhaften Dirigenten wie Mariss Jansons oder Paavo Järvi. Mit dem Ensemble des Champs Élysées und dessen Leiter Philippe Herreweghe nahm sie Beethovens Violinkonzert auf. Dafür zog sie im buchstäblichen Sinne neue Saiten auf: „Weil das Orchester auf Alte Musik spezialisiert ist, spielten alle auf Darmsaiten.“ Wobei Patricia Kopatchinskaja die Leitlinie festlegte. Den ersten Satz etwa interpretierte sie in einem schnelleren Tempo – und nicht so ruhig wie ein Maxim Wengerow: „Ich mache da keine Trauer draus, für mich ist das reine Revolutionsmusik.“

Patricia Kopatchinskaja sucht nach unkonventionellen Ansätzen. Jedes Werk will sie so spielen, als sei es eine Uraufführung und der Komponist sitze im Publikum: „Mit diesem Trick kann ich mich besser in die Musik hineinversetzen.“ Sie weiß eben genau, was sie will oder auch nicht: „Weil ich mit Bruch derzeit nichts anfangen kann, hat er nichts in meinem Repertoire zu suchen.“ Beethoven dagegen bewundert sie unendlich, Mozart ebenfalls. Darum möchte sie früher oder später all seine Violinkonzerte aufnehmen: „Ich werde mir dabei eine Oper vorstellen mit vielen facettenreichen Charakteren.“

Noch lieber würde sie jedoch für sich selbst ein eigenes Violinkonzert komponieren, wenn sie ein bisschen mehr Zeit hat. Bei der Uraufführung, so denkt sie sich das, wird sie sich dann in eine Schauspielerin verwandeln, die Geige spielt: „Es genügt mir nicht, mit meinem Instrument einfach dazustehen. Ein Konzert erfordert auch körperlichen Einsatz, finde ich.“

Ihre musikalische Philosophie übernahm sie einst von einem indischen Kollegen: „Als ich ihn fragte, was er in seiner Musik suche, da antwortete er: ‚Ich will mich in ihr verlieren.‘ “ Das ist auch ihr Ziel, allerdings erreicht sie es längst nicht immer: „Auch wenn es mir nur selten gelingt, meine Klänge wirklich ohne Anstrengung fließen zu lassen, sind das dann doch heilige Momente für mich.“

Glück und Demut

Auf ihrer morgen beginnenden Deutschland-Tournee wird sie mit den Hamburger Symphonikern und dem Stuttgarter Kammerorchester spielen. Dass sie noch kein Weltstar ist, mag an ihrer Kompromisslosigkeit liegen.

Ihr soziales Engagement ist ihr genauso wichtig wie ihre Geige. Als Terre-des-Hommes-Botschafterin engagiert sie sich für Moldawien-Projekte: „Sicher habe ich das Land als politischer Flüchtling verlassen. Aber es bleibt für mich meine Heimat.“ Deswegen will sie etwas gegen die Missstände tun, die es dort gibt. Sie sammelt Geld für Straßenkinder, die in einem der ärmsten Länder Europas leben: „Die Armut hat die Mentalität der Menschen ziemlich verändert. Einige verkaufen ihre eigenen Kinder oder lassen sie allein zurück, wenn sie ins Ausland gehen.“ Solche Geschichten machen sie sehr, sehr demütig: „Fast schäme ich mich ein bisschen, dass ich so viel Glück hatte. Jeder andere hätte das ebenfalls verdient.“

■ Patricia Kopatchinskaja startet am 3. März ihre Deutschland-Tournee in Hamburg. Mehr unter www.patkop.ch