Keine Bronx in Katernberg

Ein Ex-Türsteher recherchiert als Theater-Regisseur unter Jugendlichen in einem Essener Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf. Heraus kam eine Bühnen-Studie ohne besondere Vorkommnisse

AUS ESSENPETER ORTMANN

Zwischen dem Ruhr- und Emscherschnellweg liegt Katernberg. 24.000 Menschen wohnen da. Sie kommen aus dem Iran, aus Kasachstan, der Türkei, dem Libanon, Angola und Afghanistan. Der Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf, so heißt das heute im Bürokraten-Deutsch, soll also eine Essener Problemzone sein, die kleine Bronx. Schnell suggeriert das Gefahr, Kriminalität und natürlich Kampf der Kulturen. Deshalb lebte dort ein halbes Jahr lang der Bielefelder Regisseur und Autor Nuran Calis für das Schauspiel Essen. Ein ehemaliger Kindergarten wurde zur offene Bühne für alle Katernberger Jugendlichen. 20 von ihnen standen jetzt mit ihrem Stück „Homestories“ in der Casa auf der Bühne.

Die kleinen Geschichten und Anekdoten, die alle Migranten-Töchter und -Söhne darin zu erzählen haben, sind herrlich normal. Von Freundschaft und dem jeweils anderen Geschlecht, den Erinnerungen an die gerade erst vergangene Kindheit. Zwei haben sich während der Proben gar verliebt. Die Bronx scheint Katernberg also nicht zu sein, auch wenn die rappenden Buben mit cooler Sonnenbrille und Hiphop-Outfit das gerne hätten. Unter der rauen Schale aus Bier, Gras und ein wenig Proll sind sie wie alle Jugendlichen zwischen 15 und 20: Auf der Suche nach sich selbst und einer irgendwie gearteten Zukunft.

Donnernd stürmen sie dafür auf die kleine Bühne des Essener Grillo. Es wird gesungen, gerappt und getanzt. Ihre Begegnungen spielen sich in der Hauptsache an einer Katernberger Bushaltestelle ab, Dreh- und Angelpunkt der ganzen Welt und ein bischen auch interkulturelle Kontaktbörse. Denn ihre frühesten Erinnerungen spielen in fernen Ländern. Richard kommt aus Kasachstan, hatte Mühe Deutsch zu lernen. Er träumte in Zentralasien schon von diesem Land und einem besseren Leben – damals, als er mit seinem Freund noch Zigaretten beim Großvater stahl. Ganz ähnlich ging es Artjom auf der anderen Seite der russischen Grenze. Der 18-jährige, der als „Der Dude“ über die Essener Bretter der Welt geistert, war immer der, der er nicht sein wollte. Wechselte gar ins ungeliebte musikalische Grufti-Lager. Schlimm. Nagib aus Afghanistan dagegen kennt nicht einmal sein Geburtsdatum. Das Getreide sei eben hüfthoch gewesen, habe seine Mutter damals gesagt. Dummerweise ist das zweimal im Jahr so. Die zehn Mädchen erzählen ähnliche Geschichten aus Vergangenheit und Gegenwart. Auch sie fühlen sich längst heimisch im Ruhrgebiet. Lieben die illuminierte Zeche Zollverein, ihren Stadtteil. Und doch nagt an ihnen das tief empfundene anders sein. Wie Zakieh aus dem Iran. Nein, sie hat kein Kopftuch auf. Aber sie kann tanzen und singen und findet es schwer, hier zu leben, auch wenn das junge Leben damals keine Freude war.

Und so sitzen die blutjungen Deutschen und Ausländer gemeinsam an ihrer Haltestelle und erzählen sich Geschichten und man fragt sich, wer eigentlich die Probleme zwischen den Kulturen herbei redet und zu welchem Zweck.

Die hochmusikalischen „Homestories“ in Essen sind ambitioniertes Jugentheater, wie es auch an vielen nordrhein-westfälischen Stadttheatern zu finden ist. So richtige Konflikte hat es nicht herausgearbeitet. Allein dafür sollte man dankbar sein. „Die Weiber sind scheiße“, sagt Paul noch. Sie gäben nie ihre Nummer. Die Mädchen gibbeln. Alles normal in Katernberg.

Fr., 19:00 Uhr, Grillo Theater, EssenInfos: 0201-81220