piwik no script img

Archiv-Artikel

„Weltraumpenis“ fürs leere Zentrum

AURICH Der Sous-Turm wurde gebaut, weil die neue Fußgängerzone symbolisch gefüllt werden musste. Bei der Bevölkerung ist das Bauwerk aus Müll des Kernforschungszentrums Jülich immer noch umstritten

Dass der Sous-Turm im Zentrum von Aurich steht, verdankt er dem SPD-Stadtrat, der die Innenstadt mit dem jüdischen Viertel in der 80er-Jahren platt machte. Mittelpunkt Aurichs ist seitdem ein betonierter „Marktplatz“ mit einer „Markthalle“. Der eigentliche Markt findet vor dem Glaskubus der Markthalle statt.

Gerd Seele heißt der Architekt, der, verbandelt mit der SPD in der Stadtverwaltung, dem historischen Aurich den Garaus machte. „Aurich hat das Potenzial einer Metropole“, sagte Gerd Seele. Für die plötzlich leere Stadtmitte hatte er eine Vision: „Ich dachte, da müsste ein Turm hin.“

So pflanzte die Stadt auf Seeles Anregung einen Turm. Den baute der Aachener Architekt Albert Sous 1990 aus zehn Tonnen Müll des Kernforschungszentrums Jülich. Die Auricher waren entsetzt. Die Diskussion um den futuristischen (?), begehbaren Turm ließ die Problematik der gesamten Stadtsanierung vergessen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat stürmte das Büro einer regionalen Zeitung und versuchte, den damaligen Redakteur ob seiner kritischen Berichterstattung über Stadtsanierung und Turm zusammenzufalten.

Häkchen da, Spirale dort, Stahl-Hörner, die Auricher sprachen vom „Luftquirl“, „Tauchsieder“ und „Weltraumpenis“. Der sollte die verschiedenen Stationen der Evolution darstellen. Nach anderen Interpretationen war er eine Würdigung an die Nordsee. Auch Stern-Chef Henry Nannen äußerte sich kryptisch zu dem Kunstwerk in seiner Geburtsstadt: „Der Turm ist anstößig. Aber Kunst muss anstößig sein.“ Heute haben die Stadtoberen ein Schild mit Erklärungsmodellen an den Turm genietet.

Aurich ist nicht bekannt für moderne Kunst im öffentlichen Raum. In direkter Nähe zum Sous-Turm stehen realistische Figuren wie Stiere, Seehunde, spielende Kinder. Ohnedies bleibt das Highlight der ostfriesischen Kunst der „Ottoturm“, der Leuchtturm in Pilsum. Mit Tausenden Graffitis geschmückt („Karl, ich liebe dich“) ist er echt interaktiv.

Der Sous-Turm rostet nur vor sich hin.  THOMAS SCHUMACHER