: Lachen ist besser als Weinen
Mensch, Israelin, Jüdin: Schoschana Segré-Beck erzählt SchülerInnen in Deutschland von Israel. Ihre Geschichten über die hebräische Sprache, Zugvögel über Jerusalem und die „wunderbare Zeit beim Militär“ begeistern die jungen ZuhörerInnen
aus Wesseling LUTZ DEBUS
„Schalom!“ Schoschana Segré-Beck steht neben dem Lehrerpult. Der Klassenraum des Berufskollegs in Wesseling, einem Städtchen südlich von Köln, ist gerammelt voll. Vor der Frau mit langem schwarzen Haar sitzen dicht gedrängt zwei Klassen. Berufsschüler der Chemiefacharbeiterklasse und Fachoberschüler mit der Ausrichtung Naturwissenschaften. 16 bis 21 Jahre alt sind die Jugendlichen. Mehr Jungs als Mädchen. „Ich heiße Schoschana. Ich bin Mensch, Israelin, Jüdin. Und du?“ Etwas irritiert stellt sich Dustin vor. Er sei Mensch, Deutscher, Katholik. Die 52-jährige ist begeistert, schüttelt die Hand von Dustin. Noch die Hand haltend, doziert Schoschana Segré-Beck, dass dies eine Begegnung sei, eine Begegnung zwischen Menschen, Völkern und Religionen. Dann stellt sie sich vor einen anderen Jungen. Der zieht seinen Kopf zwischen die Schultern. Sagt dann aber doch, dass er Buddhist sei und ursprünglich aus Thailand komme. „Begegnung!“ ruft die temperamentvolle Frau in die Klasse, schüttelt auch seine Hand und eilt zum nächsten Jungen. Der kommt aus dem Iran und ist Mohammedaner. Es stört sie nicht, dass er seine schwarzen Wollhandschuhe nicht auszieht. Auch ihm wird die Hand geschüttelt.
Schoschana Segré-Beck hat im Jahr 2001 ein Buch geschrieben. „Und ich? Ich bin eine Sabres ...“ beschreibt ihr Leben als Tochter eines italienischen Juden und einer irakischen Jüdin, geboren in Israel, überall und nirgends zu Hause. Die in Israel ausgebildete Lehrerin heiratet einen Deutschen, zieht nach Deutschland. Seit das Buch fertig ist, hält Schoschana Segré-Beck Vorträge an Schulen. „Begegnungen Israel – Deutschland“ steht auf ihrer Visitenkarte.
Manchmal bekommt sie für eine Doppelstunde in einer Schule 35 Euro, manchmal mehr. In Wesseling unterstützt die Konrad-Adenauer- Stiftung ihren Vortrag. Neben ihr steht Jutta Ferner. Sie unterrichtet in den Klassen Biologie und Religion. Etwas überraschend kam das Angebot, für zwei Unterrichtsstunden einen Gast zu empfangen. Aber Jutta Ferner findet es generell gut, wenn Anregungen von draußen kommen.
„Woran erkennst du, dass ich nicht von hier bin? An meinem Pullover?“ Der Angesprochene mit der Baseballkappe druckst herum. „Sie sprechen etwas anders.“ Natürlich, unterbricht Schoschana Segré-Beck sich selbst, hätte sie zunächst erklären müssen, warum sie die Schülerinnen und Schüler duze. Das mache man in Israel so. Wie im Englischen. Dann erklärt sie ihren Akzent. Sie könne das R nicht gut aussprechen. Besonders auffällig sei das in der Gegend, in der sie wohne. Die Franken rollen das R. Da werde sie oft für eine Französin gehalten. Ein kleines Referat über die hebräische Sprache folgt. Und dann springt die Gastdozentin zum Thema Tagespolitik. Mit flinken Händen legt sie eine Folie auf den Tageslichtprojektor. Auf der Leinwand erscheint ein sich küssendes grauhaariges Paar. Ein Bild von Angela Merkels Staatsbesuch, die Begrüßung durch Staatspräsident Mosche Katzav. „Aber wer davon ist Merkel?“, fragt ein Junge aus der dritten Reihe. Die Schüler johlen. „Es gefällt mir, dass ihr lacht. Lachen ist besser als Weinen“, kontert Schoschana Segré-Beck.
Im Lehrerzimmer zeigt Schoschana Segré-Beck, die Sabres, die in Israel geborene Jüdin, einen Briefwechsel zwischen ihr und verschiedenen Honoratioren des Zentralrates der Juden in Deutschland. Ja, ihr Engagement sei zu begrüßen. Ja, es sei lobenswert, dass Schüler in Deutschland direkten Kontakt zu jüdischen Menschen knüpfen können. Ja, es sei wichtig, Informationen über Israel und das Judentum zu vermitteln. Nein, man könne ihre Arbeit finanziell nicht unterstützen. Der Ton wird im Laufe des Briefwechsels schärfer. Der Generalsekretär des Zentralrats Stephan J. Kramer beendete seine letztes Schreiben vom vergangenen Mai mit den Worten: „...sehe ich zur Zeit keinen Bedarf für ein persönliches Gespräch.“
Tatsächlich entspricht Schoschana Segré-Beck nicht dem Bild von Juden, das offizielle Organisationen in Deutschland repräsentieren. Nicht distanziert, souverän und elegant tritt die kleine Frau vor die Klasse sondern wild, chaotisch, zuweilen distanzlos, aber immer liebenswert. Jeder, der eine richtige Antwort auf die recht einfachen Fragen gibt, wird mit einem langen Händeschütteln und einem warmherzigen Lächeln belohnt. Fast allen der 50 Schülerinnen und Schüler hat Schoschana Segré-Beck so schon die Hand gegeben. Dabei springt sie von Thema zu Thema.
Eine halbe Milliarde Zugvögel machen jedes Jahr in Israel Station, berichtet die Lehrerin mit weit aufgerissenen Augen. Sie selbst scheint von ihrer Aussage überrascht. „Auch ganz große Vögel.“ Dann verschenkt sie kleine Origami-Kraniche. Die seien in Japan ein Friedenssymbol. Und Frieden brauche Israel und der Nahe Osten auch. Dann erzählt sie vom Militär. Dass Jungs drei Jahre und Mädchen zwei Jahre Militärdienst ableisten müssen. Wer nicht hingehe, komme ins Gefängnis. Die Israelin zuckt mit den Schultern. „Ich war auch beim Militär. Eine wundervolle Zeit“. Im Eiltempo beschreibt sie die Geographie des Landes. Mittelmeer mit Tel Aviv bei 0 Metern. Dazu zeigt sie Bilder vom Strand, auch von der Love-Parade. Jerusalem in 800 Metern Höhe. Aufnahmen aus der Vogelperspektive und Fotos von orthodoxen Juden mit Schläfenhaar und Hüten illustrieren die Stadt der Weltreligionen. Und dann das Tote Meer, über 800 Meter unter dem Meeresspiegel.
Der Vortrag wird zum begeisterten Reisebericht. Gerade, wenn die schläfrige Gemütlichkeit eines Diaabends zu viel Raum einnimmt, unterbricht Schoschana Segré-Beck ihren Vortrag. „Sogar unser Geld ist dreisprachig, hebräisch, arabisch und englisch.“ Zum Beweis kramt sie in ihrer Hosentasche, verschenkt Münzen an die, die vor kurzem Geburtstag hatten.
Plötzlich ertönt die Schulglocke. Fragen an die Referentin hatte niemand. Und jetzt natürlich auch nicht mehr. Stühle werden gerückt. Die Jugendlichen drängen aus der Klasse. Pausenbrote und Zigaretten warten. Schoschana Segré-Beck packt ihre Materialien ein. Die Tora-Rolle, den Siebenarmigen Leuchter, Wandkarten.
Und die Shoa, ist die Shoa kein Thema bei ihren Vorträgen? „Nein, ich möchte mit den Schülern nach vorne schauen.“ Man könne ihre Geschichte ja in ihrem Buch nachlesen. Wie der Vater mit dem Fahrrad 500 Kilometer in Italien den Faschisten davongeradelt ist. Aber das sei nichts für die Kurzvorträge über Israel. Und die aktuelle politische Entwicklung? Der Terrorismus? Die Gegengewalt? Mancher Schüler habe doch sicher schon Steven Spielbergs „München“ gesehen. Da wird Schoschana Segré-Beck plötzlich einsilbig: „Ich war beim Militär, nicht beim Mossad. Ich weiß nicht, wie es wirklich war.“