: Gesichter messen gegen Kinderpornografie
Eine Software soll das Alter von Missbrauchs-Opfern schneller ermitteln. Forscher aus NRW, Italien und Litauen messen dafür 1.650 Gesichter aus
Kinderpornografie bekämpfen heißt für die Polizei vor allem eines: Illegales Bildmaterial aus dem Internet, von CDs und DVDs sichten. Für die Ermittler ist es wichtig zu wissen, welches Alter die Opfer haben, denn nur bis zum Alter von 14 Jahren gelten Minderjährige in Deutschland auch als Kinder. Bisher mussten die Beamten dafür jedes Bild einzeln bewerten. Eine neue Software soll nun helfen, das Alter und die Identität der Opfer automatisch und schneller zu ermitteln. In dem weltweit einmaligen Projekt arbeitet das Institut für Rechtsmedizin der Uniklinik Düsseldorf mit Rechtsmedizinern und Anthropologen aus Italien, Litauen und der Kieler Uni zusammen.
Entwickelt wird das Computerprogramm von der Bochumer Softwarefirma Visage Technology AG. Verdächtige pornographische Fotos werden eingelesen, und das Programm findet und untersucht automatisch die Gesichter. Es vergleicht die Gesichtsformen mit den besonderen Merkmalen der verschiedenen Altersgruppen und klassifiziert die Opfer in Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. „Pro Bild dauert das nur etwa zwei Sekunden, und die Fotos können Tag und Nacht ausgewertet werden“, sagt Stefanie Ritz-Timme, Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin. Die Fehlerquote liegt bei zwei Prozent. Für die ermittelnden Beamten sei diese „Vorsortierung“ eine große Arbeitserleichterung, „sie müssen nämlich täglich eine Unmenge an verdächtigen Bildern beurteilen“, so die Projektleiterin.
Damit die Software funktioniert, brauchen die Entwickler viele Vergleichsdaten. Bisher haben Ritz-Timme und ihr Team bereits in drei europäischen Ländern die Daten von 600 Kindern im Kindergartenalter gesammelt. Nach zwei Jahren Erprobung wurde der Prototyp der Software entwickelt. Nun sollen auch die Daten von 1.650 Kindern und Jugendlichen im Alter von elf bis 18 Jahren erhoben werden, 550 davon in Nordrhein-Westfalen.
Die vier deutschen WissenschaftlerInnen wollen sich bei Schulen und Sportvereinen im Raum Düsseldorf dazu die Erlaubnis der Eltern einholen. „Wir bitten sie, die Gesichter ihrer Kinder anthropologisch messen und standardisiert fotografieren zu dürfen“, sagt Ritz-Timme. Selbstverständlich würden die Daten anonymisiert und nach der Auswertung vernichtet. „Wir werden Eltern und Lehrer vorher genau darüber informieren und ihnen auch die Ergebnisse präsentieren“, so die Direktorin.
In Litauen und Italien werden ebenfalls Kinderköpfe ausgemessen. „Die deutschen und litauischen Gesichtsformen sind sich sehr ähnlich, sie unterscheiden sich aber sehr wohl in ihrer Morphologie von den italienischen“, sagt Ritz-Timme. Die italienischen Kinder hätten zartere und kleinere, „mediterrane“ Gesichter. „Die Gesichter von Kindern entwickeln sich sehr regelmäßig“, erklärt die Sprecherin der Uniklinik, Susanne Dopheide. Noch bis zum 25. Lebensjahr verändern sich die Gesichtsproportionen. Anhand bestimmter Merkmale wie Kopfgröße, Nasenform oder dem charakteristischen „Babyspeck“ könne man das Alter leicht feststellen. „Ein Kleinkind sieht anders aus als ein Schulkind oder ein Jugendlicher“, so Ritz-Timme. Im Alltag sei das Alter bei Jugendlichen manchmal auf den ersten Blick schwer einschätzbar, „das liegt aber am Gesamteindruck: am Verhalten, an den Klamotten, Bewegungen oder der Stimme“. Bei „ungeschminkten Gesichtern“ zeige sich dann, dass die Gesichtsproportionen durchaus mit dem Alter korrelieren.
In zwei Jahren soll das Projekt abgeschlossen sein – dann läuft die Förderung aus. Die Europäische Union unterstützt das Ganze mit rund 500.000 Euro, die Universität Düsseldorf und die Softwarefirma beteiligen sich ebenfalls an den Kosten, die bisher etwa 750.000 Euro betragen haben. Auch das Bundeskriminalamt begleitet das Projekt.
GESA SCHÖLGENS