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Archiv-Artikel

Der lange Arm der Arbeiter

ARBEITSKAMPF Erstmals seit vielen Jahren arbeiten türkische und kurdische Gewerkschaftsgruppen in Berlin zusammen. Anlass ist die Protestbewegung gegen Streichorgien eines Tabakherstellers in Ankara

In der türkischen und kurdischen Community hat eine Entpolitisierung eingesetzt

Es waren Parolen, die wie aus der Zeit gefallen schienen. „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ und „Sie sind Proletarier, sie sind im Recht“, riefen rund 200 Teilnehmer einer Demonstration, die am Sonntag von Neukölln zum Kottbusser Tor zog. Noch ungewöhnlicher ist der Anlass des Protests: Es geht um Solidarität mit den rund 12.000 Beschäftigten des türkischen Tabakmonopolisten Tekel. Schon seit drei Monaten wehren sie sich mit Streiks, Demos und einem Zeltlager in der Innenstadt von Ankara gegen den geplanten massiven Abbau von Arbeitsplätzen nach der Privatisierung des Unternehmens.

In Berlin hat sich ein Solidaritätskreis mit den Tekel-ArbeiterInnen gegründet, in dem verschiedene linke MigrantInnenorganisationen vertreten sind. Seit Anfang Februar hat er bereits drei Kundgebungen und am vergangenen Sonntag die Demonstration organisiert. Der parteiunabhängige Berliner Verein Allmende hat dabei eine wichtige Koordinierungsaufgabe übernommen. Seit mindestens einem Jahrzehnt hat es eine solche Zusammenarbeit verschiedener kurdischer und türkischer Gruppen nicht mehr gegeben.

Gute Kooperation

Die Kooperation der unterschiedlichen Gruppen laufe unter den heutigen Umständen ganz gut, berichtet Garip Bali vom Allmende-Vorstand der taz. Von einem politischen Aufbruch könne allerdings nicht die Rede sein. „In den letzten Jahren hat auch in der türkischen und kurdischen Community Berlins eine Entpolitisierung eingesetzt. Viele lehnen schon die Entgegennahme der Flugblätter ab“, sagt Bali. Deshalb war er positiv überrascht, als der Besitzer des Zeitungskiosks, in dem er schon seit Jahren einkauft, sofort bereit war, Flyer auszulegen und Plakate auszulegen.

Enttäuscht ist Bali hingegen über die geringe Beteiligung der deutschen Linken. Der an den Marxismus der Arbeiterbewegung angelehnte Duktus habe wohl viele Aktivistinnen aus der außerparlamentarischen Linken verschreckt, urteilt er selbstkritisch. Auf der Internetplattform Indymedia wird unterdessen moniert, dass sich deutsche Linke auf Mayday-Paraden und bei Bildungsstreikaktionen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse wenden, aber zu Betriebskämpfen eine viel zu große Distanz haben.

Der Gewerkschafter Mustafa Efe hingegen zieht Parallelen von dem Kampf in der Türkei und den Problemen in Deutschland. „Die Tekel-Beschäftigten wehren sich gegen eine Privatisierungspolitik, mit der wir auch in Deutschland zu kämpfen haben“, meint der in der IG Metall organisierte Betriebsrat des Daimler-Benz-Werkes in Marienfelde. Efe kandidiert für die Betriebsratswahlen, die Mitte März stattfinden werden, auf einer alternativen Liste, die die offizielle IG-Metall-Liste wegen ihres kompromissbereiten Kurses gegenüber dem Unternehmen kritisiert.

Auch der kurdische Aktivist Hasan Cötek mobilisiert vor allem im gewerkschaftlichen Bereich für die Tekel-ArbeiterInnen. Er zeigt sich mit der Resonanz zufrieden. So habe er viel Applaus bekommen, als er während des Warnstreiks von Ver.di Anfang Februar in einem kurzen Redebeitrag über den Streik in der Türkei informierte. Mittlerweile hat sich ein gewerkschaftliches Solidaritätskomitee gebildet. Zwei Berliner Gewerkschaftler haben im Rahmen einer Solidaritätsdelegation inzwischen die Streikenden in Ankara besucht.

Dort könnte sich in Kürze die Lage zuspitzen. Denn die türkische Regierung hat mit der Räumung der Zelte gedroht, in denen die Streikenden seit Monaten ausharren. Das Berliner Solidaritätskomitee ruft – sollte dieser Fall eintreten – zu einer Demonstration am Kottbusser Tor auf.

PETER NOWAK