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Archiv-Artikel

Blick unter die Haut

Ein Gespräch mit Benjamin Moldenhauer, Experte des zeitgenössischen Horrorfilms, über die Vorzüge eines unterschätzten Genres

Von grä

taz: Was ist der Gewinn bei der Betrachtung eines Horrorfilms – über die quasi sportliche Freude an rennenden Männern mit Sägen hinaus?

Benjamin Moldenhauer: Es ist die Frage, was diese Filme über uns und die gesellschaftliche Realität, in der wir leben, erzählen: Horrorfilme haben sehr explizite und genaue Bilder für das, was man im weitesten Sinn Gewaltverhältnisse nennen kann. Das, was in Beziehungen, in Familien, am Arbeitsplatz und in Schulen passiert, aber überhaupt nicht verhandelt wird.

taz: Ist es Zufall, dass so viele Horrorfilme aus den USA kommen?

Ich würde die Frage umdrehen: Es ist auffällig, dass in Deutschland so wenig Horrorfilme gedreht wurden. Angesichts unserer Gewaltgeschichte müsste es von Horrorfilmen nur so wimmeln. Aber grundsätzlich würde ich die Frage eher mit der Lage der Filmindustrie als mit der Geschichte eines Landes verbinden.

taz: Gibt es Horrorfilme, die nicht ins Programm kommen sollen, weil sie zu gewalttätig oder geschmacklos sind?

Die schlechten Filme sind vor allem langweilig. Moralische Kriterien spielen da eigentlich keine Rolle.

taz: Ist Gewaltverherrlichung ein Kriterium?

Ich habe früh angefangen, mir Horrorfilme anzusehen, aber ich habe nie verstanden, was da verherrlicht werden sollte.

taz: Vermutlich ist es eher eine Banalisierung von Gewalt.

Genauso könnte man dem Melodram vorwerfen, ein Bild von Liebe zu entwerfen, dass nicht der Wirklichkeit entspricht. Aber gerade deswegen setzen sich die Leute ins Kino und nicht in die Straßenbahn. Es stimmt, dass es in den 70er Jahren im italienischen Kino Kannibalen-Filme gab, die sich in Ekelhaftigkeit überbieten wollten. Aber die wurden erst durch die Zensur überhaupt populär.

taz: Trotz aller interner Wertschätzung gilt der Horrorfilm nach wir vor nicht unbedingt als Vorzeigedisziplin.

Und doch denke ich, dass er allen anderen Genres eines voraushat: Den sehr eigenen Umgang mit dem Körper. Angesichts offener Körper wird hier immer wieder die Frage gestellt: Was bleibt, wenn man den Körper und die soziale Oberfläche voneinander ablöst?

taz: Wobei man einräumen muss, dass das auch andere Kunstsparten gefragt haben.

Aber in welchem anderen Kontext erlebt man die ureigensten Reaktionen so unmittelbar am eigenen Körper? Und außerdem gibt es einen ganz vorausblickenden Aspekt des Horrorfilms: Schon in den 70er Jahren gab es das „Final Girl“, das am Ende das Monster tötete. Und im übrigen seine Aggressivität sehr lustvoll auslebte. Interview: grä

Am 19.2. stellen Benjamin Moldenhauer, Jörg Windszus und Christoph Spehr unter dem Titel „Law of the Dead“ zehn Thesen zum Horrorfilm vor. Mit Filmbeispielen. 20 Uhr im Lagerhaus.