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Archiv-Artikel

Der kurze Sommer 1961

Hommage an die vergessene Welt vor dem Mauerbau: Doch in „Der Rote Kakadu“ erzählt Dominik Graf die Geschichte einer unmöglichen Liebe, den Geteilten Himmel, ganz aus der Sicht des Westens

VON CLAUDIA LENSEN

Gleich am Anfang eine Szene, die erzählt, was dieser Film will: Siggi Molnar (Max Riemelt), Neuling in Dresden und Held der kommenden Ereignisse, beobachtet in einem Dresdener Park eine große Gruppe junger Leute in Anzügen und Petticoatkleidern beim Twist-Tanzen. Sie tun es ohne Musik, als pures Bild von Lebenslust, bis einer mit einem kleinen Plattenspieler ankommt und eine Single auflegt. Im selben Moment Geschrei, heranbrausende Polizeiautos, eine wüste Schlägerei unter den Augen eines bissigen Einsatzleiters, schließlich die Flucht durch den Park. Max lernt beim atemlosen Laufen Luise (Jessica Schwarz) kennen und ihren Mann dazu: Wolle (Ronald Zehrfeld), einen proletarischen Rockertypen mit erstaunlich langen Haaren. Die Begegnung endet mit einer Einladung in den „Roten Kakadu“, einen legendären Dresdener Club und subversiven Rockertreff.

Dominik Graf, ein geübter Genre-Regisseur mit Liebe zum Detail, hat ein Drehbuch seines Autorenfilmkollegen Michael Klier verfilmt, das sich als Hommage an eine vergessene Welt versteht. Der Film erzählt von der unmöglichen Liebe zwischen Siggi und Luise im kurzen Sommer 1961, der mit dem Mauerbau am 13. August abrupt endet. Mit viel Action, Sex und Rock ’n’Roll rekonstruieren sie das Milieu des „Roten Kakadu“ in Dresden, den es bis Anfang der Siebzigerjahre tatsächlich gab. Aber nie wird man das Gefühl los, mit Gesten des großen Kinos und knalligen Stereotypen überrumpelt zu werden. Die Tragikomödie von verlorenen Existenzen und eigensinnigen Bohemiens, die sich gegen graue DDR-Realität wehren, erdrückt, was sie vorgeblich retten will.

Dresden – das wird durch einen Voice-over-Kommentar und eine Stadtkarte eher beschworen als gezeigt – war 1961 eine gigantische Brandruine, ein wüster Ort. Luise und Wolle scheinen eher durch ihr Kinderschicksal als elternlose Bombenopfer denn als erwachsenes Paar aneinander gekettet. Siggi dagegen, das Landkind aus einer repräsentativen LPG-Bauernfamilie, könnte von Dresden aus zum Bühnenbildner avancieren, wenn er sich am Theater bewährt. Um besser zu den „Kakadu“-Besuchern zu passen, besorgt er sich spitze gelbe Schuhe in Westberlin – das Geld dafür durch den Schmuggel von Meißener Porzellan, das als heimliche Reserve in den Schränken, Kellern und Gärten vergraben liegt. Die telepathischen Séancen, mit denen seine Tante die Porzellanverstecke herausfinden will, gehören zu den schönsten Nebengeschichten des Films. Überhaupt – die Lobesworte des gelehrigen Jungsozialisten Siggi auf die große russische Tradition der Telepathie und parallel dazu der Sound sowjetischer Erfolgsmeldungen aus der Weltraumfahrt in jenem Frühsommer 1961 setzen bizarre ironische Akzente.

Siggi, den Max Riemelt mit schlafwandlerischer Sicherheit mehr verkörpert als spielt, hält wenig von seinem eigenen künstlerischen Talent als Maler, dafür viel von den Gedichten, die Luise schreibt. Die junge Frau, die nicht veröffentlichen darf, arbeitet „in der Produktion“, an der Abfüllanlage einer Schnapsfabrik, und gerät in ernsthafte Schwierigkeiten, als Siggi von seinem ergaunerten Geld ihre Gedichte drucken lässt.

Im „Roten Kakadu“, einer Dresdner Hotelbar, treffen die Freunde und Rivalen mit den zu gefälligen Karikaturen aufgeblasenen Vertretern des Systems zusammen: Luises Mann Wolle und seine One-Night-Stands, Siggi und Luise, der Parteisekretär des Theaters und ein Stasi-Offizier samt Anhang, der den Kasatchok als sauberen Gruppentanz gegen den Rock ’n’ Roll ins Feld führt. Kathrin Angerer gibt als notgeile „Mutti“ dem Affen Zucker, weil offenbar niemand auf den Witzfaktor eines hemmungslos sächselnden Dummchens verzichten wollte.

Das Netz zieht sich um die Freunde zusammen, ein Komplex von persönlichen Rachegelüsten und vorgeschobenen Vorwürfen staatsfeindlicher Umtriebe führt zu Verhaftungen und Verrat. Am Ende steht die Frage, wer mit wem durch die Flucht nach Westberlin seinen Kopf retten kann – leider kennt das Drehbuch nur diese Logik. Dominik Graf erzählt den „Geteilten Himmel“, wie er von Westen aussieht.

„Der Rote Kakadu“. Regie: Dominik Graf. Mit Max Riemelt, Jessica Schwarz, Ronald Zehrfeld. D, 129 Min.