: „Den Stoff aus der Hüfte geschossen“
Petra Lüschow hat das Drehbuch zu dem Schweizer Panorama-Film „Nachbeben“ geschrieben. Die schüchterne Autorin aus Berlin schreibt sonst Trash-Romane oder Drehbücher für die TV-Serie „Der Bulle von Tölz“ – jetzt treibt sie die Beziehungen von Zürcher Neureichen in ein Grillfest-Fiasko. Ein Porträt
VON FRIEDERIKE MEYER
Applaus hallt aus dem Publikum. Applaus für „Nachbeben“, ein dicht erzähltes Gesellschaftsdrama, angesiedelt im neureichen Milieu Schweizer Investmentbanker, das im Panorama der Berlinale läuft. Die Regisseurin und drei Schauspieler betreten die Bühne, um Fragen zu beantworten. „Ein großartiger Film“, lobt eine Zuschauerin, „und ein exzellentes Drehbuch.“ Die Regisseurin winkt Petra Lüschow heran.
Von der hintersten Reihe schleicht sie eher nach vorn, die Drehbuchautorin, lehnt sich ans Bühnenpodest, stützt die Ellbogen auf und kreuzt die Beine. Kommentieren will sie den Beifall nicht, nicht an dieser Stelle. „Ich bin zu schüchtern“, sagt sie leise ins Mikrofon. Später im Foyer wird sie mehrfach in ein Gespräch verwickelt. Mehrfach windet sie sich lächelnd heraus und drängt schließlich durch die Menge zur Tür.
Petra Lüschow ist einer der vielen stillen Stars dieser Berlinale. Den Glamour des Filmgeschäfts meidet sie, so gut es geht, lässt sich ungern auf den Sockel heben. Ernsthaft diskutieren über Bücher, Filme und über „Nachbeben“, ihren ersten Kinofilm – das mag sie nur in kleiner Runde. Intensiv gearbeitet hat sie mit der Regisseurin Stina Werenfels, „unglaublich produktiv und kreativ“ sei die Auseinandersetzung über das Drehbuch gewesen. Von der gemeinsamen Begeisterung für Regisseure wie John Cassavetes und Lucrecia Martel schwärmt sie immer noch. In fünf, sechs Monaten habe sie den Stoff regelrecht aus der Hüfte geschossen.
Die aufwändige Milieu-Recherche der Schweizer Filmemacherin Werenfels, die als „Back-office Girl“ acht Monate in einer großen Zürcher Privatbank gearbeitet hat, verarbeitete Petra Lüschow zu einem Psychodrama. Das Setting: eine Grillparty im Garten einer Banker-Villa. Hier beleuchtet „Nachbeben“ die privaten Beziehungen der Gäste – und wie diese auf jeder Ebene durch Geschäfte bestimmt sind. Der Investmentbanker HP, der große Verluste erlitten hat, lädt seinen Vorgesetzten und Freund Philip und dessen Frau ein, um in lockerer Atmosphäre einen rettenden Deal klar zu machen. Geschürt durch einen Erpressungsversuch des Au-pair-Mädchens Birthe verstricken sich die privaten Probleme im Lauf des Abends immer mehr. Die Grillparty gerät zum Fiasko.
Edward Albee, sagt Petra Lüschow, sei eine gute Referenz für ihre Arbeit, und Hendrik Ibsen. Er schaffe es, die Geschichte wie ein Uhrwerk ablaufen zu lassen, entwickle eine sehr dichte Dramaturgie, zeige aber auch den gesellschaftlichen Kontext.
Petra Lüschows Weg zum Film wirkt im Rückblick trotz vieler Stationen irgendwie logisch. Schon als Kind verfasst die heute 40-Jährige Dutzende Seiten lange Serienkillerkrimis, in denen perverse Verbrechen begangen werden. Ihre Leidenschaft für Literatur bringt sie zum Studium nach Berlin. Hier entdeckt die Studentin der Film- und Literaturwissenschaft zum ersten Mal das Kino – in ihrem Heimatort gab es keins. Nach Abstechern zu Soziologie und Psychologie stellt sie enttäuscht fest: „Die Literaturwissenschaft ist ein wahnsinnig selbstreferenzielles Fach.“
Petra Lüschow versucht es im Journalismus, wo ihr aber schnell die Abgrenzung zur Fiktion auf die Nerven fällt, und beginnt 1995 ein Drehbuchstudium an der HFF Potsdam. Sie arbeitet als Dramaturgin für eine Developing-Agentur und schreibt Krimikomödien und Trash-Romane für das Off-Kulturmagazin „Blau“, inspiriert von den großen amerikanischen Autoren Kurt Vonnegut und Richard Brautigan. Nebenbei verdient sie ihren Lebensunterhalt als Assistentin von Schwerstbehinderten. Seit 2000 ihr erster Erzählband „Flores und Antiflores“ erschien, kann sie vom Schreiben leben: Sie schreibt Skripte für die Sat1-Serie „Der Bulle von Tölz“ und für Fernsehfilme – Genre Gesellschaftskomödie und Psycho- und Beziehungsdrama.
Wenn Petra Lüschow schreibt, dann beobachtet sie. In „Nachbeben“, sagt sie, gehe es nicht allein um Neureiche in Zürich, sondern um Verhaltensweisen, die sich auf vielen Ebenen im Zuge des Neoliberalismus entwickelt haben. Aus der Textvorlage der Regisseurin eine Szenendramaturgie zu entwickeln, sieben Charaktere zu zeichnen und miteinander laufen zu lassen, das war für Petra Lüschow die Herausforderung beim Schreiben des Drehbuchs. Dabei hat sie mit den dramatischen Mitteln des Theaters gearbeitet und sich mit der Figur des Teenagers Max quasi selbst in den Film geschrieben. Bei der Vorführung hat sie leise gelacht, als er auf der Leinwand erschien. Max ist der Erzähler, filmt, was im Garten der Villa seiner Eltern passiert: Er verfolgt seine trinksüchtige Mutter Karin, den sexgeilen Chef seines Vaters, der sein Verhältnis zum dänischen Au-Pair-Mädchen beendet, die Tränen der schwangeren Gattin Sue, die anbiedernden Gesten des Praktikanten Gutzler. Max filmt, wie Petra Lüschows Figuren in die Katastrophe des Grillabends laufen – präzise wie ein Uhrwerk.
„Nachbeben“. Regie: Stina Werenfels. Schweiz 2006, 96 Min. Heute 20.30 Uhr, CineStar 3