: Aus der Gitarre gezogene Splitter
Mit seiner zweiten Platte, „Das Gesicht“, steigt das Pankower Trio NMFarner endgültig in die erste Liga auf
Störrisch, zackig, komplex: NMFarner machen Musik, die sich nicht sofort erschließt. Auch ihre zweite Platte „Das Gesicht“ verweigert den schnellen Zugang, der schon beim Debüt „Die Stadt“ schwer fiel. Damals kannte man wenigstens das Thema, das die Nervosität und Wucht der Musik erklären konnte, diesen nervösen Großstadtsound. Diesmal ist es nicht so einfach. Die Platte wirkt fragmentarischer, hingeworfener.
„Wir“ heißt das erste Stück, „Wir, wir sind hier“ geht der Text. „Wir“, das sind Norman Nitzsche, Masha Qrella und Chriegel Farner. Ihre Musik besteht aus einem dominanten Wave-Funk-Bass über einem funky-vertrackten Beatgerüst – und den Splittern, die Qrella aus ihrer Gitarre zieht. Nitzsches oft mit Echo belegte Stimme singt eine Lyrik von beinah Kristof Schreuf’scher Kryptik. Kolossale Jugend, Brüllen, wir erinnern uns.
Eine Ahnung, worum es gehen könnte, bekommt man mit dem zweiten Stück „Familie“: „Wir könnten eins sein, wir könnten zwei sein / ein Rohrkrepierer, eine Familie sein.“ Manchmal wirken Nitzsches Texte wie aus dem Alltag übernommen, Skizzen in Autos, in Küchen, auf Tour, in Zimmern stattgefundene Dialoge. Selten richtet sich die Stimme an ein allgemeines Gegenüber. „Neu hier“, die erste Single, ist so ein Stück, das von der Verwirrung, der Überforderung neu Hinzugezogener erzählt, ohne eine Wertung zu geben. Nur eine Ahnung.
Neu ist, dass sich die Band mehr Raum schenkt. Schlagzeuger Farner darf drei englischsprachige Stücke singen und tut dies mit der Stimme eines alten Mannes, der er natürlich nicht ist. Live wirkt das ein bisschen wie bei einer guten Dorfkapelle, auf der Platte entwickeln Stücke wie „Cheapo“ Charakter. Sehr toll ist auch „I, I, I“, der Abschluss der Platte: das lustige Scheitern eines Grufti-Pathos-Textes, der von Tempo und Sound wieder aufgefangen wird. „Ich will nicht sein“, sprechsingt Nitzsche.
„Disco-Punk“ lautet die gängige Beschreibung der NMFarner’schen Musik. „Das Gesicht“ bietet mehr – ein sich nach dem dritten, vierten Hören öffnendes Spektrum intelligenter, kickender Musik. Spätestens mit dieser Platte sollte sich das Berliner Trio mit der eh umtriebigen Qrella einen Platz in der ersten Liga gesichert haben. Am Mittwoch im Magnet Club bei „Intro Intim“, vor den überflüssigen Finn und den Sternen, die ein Set zwischen ollen Gassenhauern und ungeübtem Neumaterial hinrumpelten, waren sie die Besten. In puncto Dynamik kann ihnen derzeit ohnehin keine deutsche Band das Wasser reichen.
RENÉ HAMANN
„Das Gesicht“ von NMFarner erscheint heute (Labels)