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Archiv-Artikel

Männer reichen den Giftcocktail

Studien über die Rollenverteilung bei der aktiven Sterbehilfe in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz zeigen, dasses überwiegend Frauen sind, die um Hilfe beim Sterben bitten. Und es sind vor allem die Männer, die sie dann gewähren

Es sind vor allemdie alten Frauen,die Sterbehilfe bekommen

VON LUDGER FITTKAU

Gertruida Postma ist die bekannteste Ausnahme. Die niederländische Ärztin tötete 1973 ihre Mutter mit einer Überdosis Morphium. Sonst waren es in den letzten Jahrzehnten meist Männer, die aktive Sterbehilfe leisteten – an Frauen. Karen Ann Quinlan, Nancy Cruzan, Hermy Eckert, Terri Schiavo. Die Liste der Getöteten ist lang. Auf der anderen Seite stehen vor allem Ärzte wie Jack Kervorkian, Julius Hackethal oder Pieter Admiraal. Männliche Verwandte wie der Vater Quinlan oder Ehemann Schiavo plädierten für den Tod ihrer weiblichen Angehörigen. Frauen bitten um aktive Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid, Männer gewähren sie.

Dies belegen empirische Studien in den europäischen Ländern, in denen Formen von aktiver Sterbehilfe legal sind – in den Niederlanden, der Schweiz und Belgien. Während Männer beim eigentlichen Suizid ohne die Beteiligung anderer nach wie vor weit vorn liegen, sieht es beispielsweise beim legalen „assistierten Suizid“ in der Schweiz ganz anders aus. Eine Studie der Universität Basel zeigt: Bereits Mitte der 1990er-Jahre waren zwei Drittel aller Menschen, die im Raum Basel die Dienste der Sterbehilfe-Organisation „Exit“ in Anspruch nahmen, Frauen.

„Demgegenüber waren 68 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der Region, die sich ohne ‚Exit‘-Beteiligung suizidierten, Männer und 32 Prozent Frauen“, so die Studie im Wortlaut. Es sind vor allem die alten Frauen, die Sterbehilfe bekommen: Das Durchschnittsalter der „Exit“-Klientinnen lag laut der Baseler Studie bei 72 Jahren. In der Altersgruppe von 80 bis 89 Jahren nahmen sogar viermal mehr Frauen als Männer die tödlichen Exit-Dienstleistungen in Anspruch.

In den Niederlanden wird das Geschlechterverhältnis bei Tötung auf Verlangen und assistiertem Suizid seit 1990 regelmäßig im Auftrag der Regierung im so genannten Remmelink-Report erfasst. Die Methode ist eine anonymisierte Ärztebefragung. Die letzten Zahlen wurden 2003 veröffentlicht. Das Ergebnis: Während zu Beginn der 90er-Jahre noch doppelt so viele Männer wie Frauen einen dieser sozial kontrollierten Wege aus dem Leben wählten, war das Geschlechterverhältnis 1995 und 2001 bereits eins zu eins. Bei den klassischen „einsamen“ Suizidformen kommen etwa dreimal mehr Männer als Frauen zu Tode.

Auch ohne Einwilligung werden Frauen in den Niederlanden inzwischen genauso häufig getötet wie Männer, hebt der letzte Remmelink-Report hervor. Insgesamt ist die Zahl der Mordhandlungen im Krankenhaus nicht zurückgegangen, wie man es sich vom Sterbehilfegesetz von 2002 erhofft hatte.

In Belgien sieht das nicht viel anders aus. Das zeigt die so genannte Deliens-Studie, die für die Legalisierung der Sterbehilfe ebenfalls 2002 grundlegend war. In Brüssel und Umgebung waren es sogar anderthalbmal so viel Frauen wie Männer, die sich töten ließen. Auch die Schweiz registriert eine starke weibliche Nachfrage nach Suizidbeihilfe. Die aktuelle Schweizer Statistik zeigt: Die Tötungsmethoden, die Sterbehilfeorganisationen anbieten, entsprechen den Techniken, die Frauen auch beim einsamen Selbstmord präferieren.

Die „Vergiftung durch flüssige oder feste Substanzen“, also die Methode, die auch die Sterbehilfeorganisationen anbieten, haben im vergangenen Jahr knapp 25 Prozent aller lebensmüden Schweizer Frauen als Suizidtechnik gewählt, während es bei den Männern nur jeder Zehnte war.

Der Mann bevorzugt bis heute den Schusswaffengebrauch: Während ein Drittel der männlichen Schweizer einen tödlichen Schuss für das selbst gesetzte Lebensende wählt, sind es nur etwa 3 Prozent der Frauen. Insgesamt kommen „Männer bei den so genannten harten Methoden wie Schneiden, Erhängen oder Sprung aus großer Höhe auf deutlich höhere Prozentsätze als Frauen“, so der amtliche Schweizer Suizidbericht 2005. Schließlich erfolgt der Suizid bei den Schweizer Frauen deutlich nüchterner als bei Männern: Während bei den Männern Alkohol in 18 Prozent aller Fälle eine Rolle spielt, ist bei den Frauen diese Droge nur bei 12 Prozent der einschlägigen Handlungen im Spiel.

Die todbringenden Dienstleister sind Männer. Laut der Deliens-Studie verabreichen in belgischen Kliniken fast zehnmal so viel Männer als Frauen den finalen Giftcocktail. Die Ärzte, die in diesem Feld handeln, sind überwiegend im Alter von 35 bis 44 Jahren. Ihre „Patientinnen“ sind häufig Frauen um die 80 Jahre.

Inzwischen hat auch die so genannte Anti-Aging-Medizin das Thema aktive Sterbehilfe entdeckt. So trat Ludwig A. Minelli, der Geschäftsführer der Züricher Suizid-Beihilfe-Organisation „Dignitas“ unlängst bei einem „Lifestyle- und Anti-Aging-Kongress“ in der Heidelberger Uni-Frauenklinik auf. Die Veranstaltung trug den Titel „Was nützt wirklich und schadet nicht?“

Nach einer „Hormonschule“ und einem Seminar zum Einsatz männlicher Hormone in der ästhetischen Medizin ging es um „Aktive Sterbehilfe“. Vier Männer waren für das Tischgespräch zum „brisanten Thema“ eingeladen. Keine einzige Frau. Das führt zu der Vermutung, dass aktive Sterbehilfe demnächst auch Dienstleistung im Rahmen einer ästhetischen Medizin werden soll. Und Männer werden dann den Sterbehilfetod auch als Anti-Aging-Mittel verabreichen, die Kunden werden weiblich sein. Man kann zur Frage des selbstbestimmten Todes stehen wie man will: Dass Tötungshandlungen an Frauen nun im Rahmen einer „Lifestyle-Medizin“ diskutiert werden, ist eine erstaunliche Interpretation des Begriffs „Lebens“-Stil.