: „Auf den Daimler war Verlass“
Jahrzehntelang galt: Wer in Stuttgart „beim Daimler schafft“, der muss sich keine Sorgen mehr machen. Jetzt aber heißt es: der Daimler versteht die Leute nicht mehr
STUTTGART taz ■ Bad Cannstatt ist Daimler. Im Stuttgarter Stadtteil befinden sich Daimler-Gymnasium, Daimler-Stadion, Daimler-Denkmal, Daimler-Apotheke, Daimler-Platz. Wer „beim Daimler schafft“, hat es geschafft. „D-C-Mitarbeiter sucht Drei-Zimmer-Whg.“, annoncieren die Auserwählten selbstbewusst.
Nicht weit entfernt vom Daimler-Platz befindet sich die katholische Betriebsseelsorge. Guido Lorenz, 51, und Paul Schobel, 67, sitzen in ihrem karg eingerichteten Konferenzraum im Erdgeschoss eines Wohnhauses. „Viele Mitarbeiter beim Daimler können nicht mehr schlafen“, erzählt Lorenz. „Die Atmosphäre ist ziemlich vergiftet.“
8.500 Stellen, so die erste Ankündigung im Sommer, sollten ursprünglich bei Mercedes gestrichen werden. Kurz vor Weihnachten wurde dann bekannt, dass noch weitere 7.500 Arbeitsplätze in der Pkw- und Lkw-Produktion abgebaut werden sollen. Zuletzt hieß es, dass rund 2.000 Menschen aus der Daimler-Zentrale in Stuttgart-Möhringen gehen müssen. „Früher war auf ‚den Daimler‘ immer Verlass“, sagt Paul Schobel. „Dass ein Unternehmen auf einmal so in seinen moralischen Ansprüchen zerfällt, das macht den Leuten schwer zu schaffen.“
In Württemberg arbeiten neun katholische Betriebsseelsorger, die regelmäßig Betriebspraktika absolvieren. Auch Guido Lorenz und Paul Schobel haben schon mehrfach in der Produktion von DaimlerChrysler gearbeitet, zum Teil inkognito. Besonders verärgert sind die beiden über die Methoden, die der Autobauer angewandt haben soll, um Mitarbeiter loszuwerden. Da betriebsbedingte Kündigungen laut einer Betriebsvereinbarung vorerst nicht ausgesprochen werden dürfen, versuche DaimlerChrysler, Mitarbeiter von einem „freiwilligen“ Abschied zu überzeugen. Im Sindelfinger Werk sei das Ausbildungszentrum umfunktioniert worden, um mit mehreren tausend Mitarbeitern Einzelgespräche führen zu können, weiß Schobel. „Die sollen sogar schwarze Tücher als Raumteiler in den Hallen benutzt haben.“
Wer allen Angeboten für eine Abfindung, die bis zu 260.000 Euro reichen kann, widerstanden habe, dem sei gedroht worden, dass die Beschäftigten ihre Arbeitsbereiche wechseln müssten, erzählt Lorenz. Ob sie sich eine solch neue Aufgabe in ihrem Alter denn noch zutrauten, habe man die Mitarbeiter in süffisantem Ton gefragt. Seelsorger Schobel versteht diese Firmenpolitik nicht: „Mit Angst kannst du keine Qualität erzielen.“ Durch Stellenabbau verbessere sich kurzfristig nur der Aktienkurs, ergänzt Lorenz bitter. „Die Daimler-Vorstände haben offensichtlich jegliches Gefühl für Land und Leute hier verloren.“ PHILIPP SCHEFFBUCH