: „Auch Zwangsernährung kann Folter sein“
Das Festhalten von Gefangenen in Guantánamo ist völkerrechtlich nicht gedeckt, meint der UN-Sonderberichterstatter Manfred Nowak
taz: Die Erkenntnisse Ihres gestern veröffentlichten Berichtes über Guantánamo sind schon seit einigen Tagen im Umlauf. Die US-Regierung hat sie recht brüsk zurückgewiesen. Was sagen Sie dazu?
Manfred Nowak: Ich bin nicht glücklich darüber. Der vorläufige Bericht, den wir nur der US-Regierung für ihre Kommentare zur Verfügung gestellt hatten, ist an die Medien gegeben und dann öffentlich zurückgewiesen worden, ohne dass wir direkt dazu Stellung nehmen konnten, weil der endgültige Bericht erst heute früh fertig gestellt wurde. In dem haben wir ja auch die Kritik der USA mit berücksichtigt. Ich erwarte mir von einer demokratischen Regierung eine andere Art der Reaktion auf Kritik durch unabhängige Experten der Vereinten Nationen.
Zum Beispiel?
Wir haben uns auf gut recherchierte Fakten gestützt und im Wesentlichen einen rechtlichen Bericht abgegeben. Darin kommen wir zum klaren Ergebnis, dass die Rechtsauffassung der USA über die Zulässigkeit der Festhaltung von Personen in Guantanamo Bay nach völkerrechtlichen Standards unhaltbar ist. Es hat wenig Sinn für die USA, einfach darauf zu beharren. Sie sollten vielmehr überlegen, ob sie nicht einer falschen Rechtsauffassung aufgesessen sind.
UN-Generalsekretär Kofi Annan hat vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass es kein Bericht der UN, sondern fünf unabhängiger Experten sei. Und die UN-Menschenrechtsbeauftragte Louise Arbour hat gerade gesagt, sie mache sich nicht alle Forderungen des Berichts zu Eigen. Stehen Sie mit Ihren Schlussfolgerungen alleine da?
Überhaupt nicht. Wir sind die Augen und Ohren der UNO-Menschenrechtskommission. Wir sind von der Kommission eingesetzt, aber wir sind unabhängige Experten. Kofi Annan und Louise Arbour haben insofern natürlich Recht, als sie beide nicht für unseren Bericht verantwortlich gemacht werden können.
Die USA kritisieren, Ihr Bericht basiere auf Hörensagen, denn Sie hätten die Einladung nach Guantánamo ja abgelehnt.
Das ist das klassische Argument, das wir von anderen Staaten kennen, die erst dem UNO-Sonderberichterstatter die Einreise verweigern und dann sagen: Weil er nicht eingereist ist, ist der Bericht nichts wert. Wir haben die USA jahrelang ersucht, ein objektives Fact Finding in Guantanamo Bay und allen anderen Lagern durchführen zu können. Die USA haben uns dann zwar eingeladen, haben uns aber untersagt, mit den Häftlingen zu sprechen. Es war völlig klar, auch den USA, dass wir diese Bedingungen nicht akzeptieren konnten. Die Einladung war nicht ernst gemeint.
Zufällig fällt die Veröffentlichung Ihres Berichtes zusammen mit dem Auftauchen neuer Bilder aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Welche Rolle spielen die neuen Bilder?
Sie zeigen, dass es um schwerwiegende Dinge geht. Sie sollten umfassend von einer unabhängigen Instanz aufgeklärt werden. Das sind die Vereinten Nationen. Das müsste dann dazu führen, dass wirklich die Verantwortlichen und nicht nur wenige untergeordnete Militärs zur Verantwortung gezogen werden.
Die bisherigen Verfahren in den USA reichen nicht aus?
Nein.
Sie bezeichnen die Zwangsernährung hungerstreikender Häftlinge in Guantánamo als Folter. Ist das nicht überzogen?
Selbst wenn man die Zwangsernährung für rechtmäßig erachtet, dann muss die Methode der Durchführung so sein, dass es die geringsten Schmerzen verursacht. Wir haben Hinweise darauf, dass hier sehr dicke Schläuche durch die Nase eingeführt werden, die zu Erbrechen, Blutungen und Verletzungen führen und große Schmerzen verursachen.
Aber das könnte ja auch Inkompetenz sein? Folter wäre es doch erst dann, wenn die Schmerzen bezweckt werden.
Und genau das haben uns mehrere Personen unabhängig voneinander gesagt: dass die Art der Zwangsernährung verwendet wurde, um Schmerzen zuzufügen und so die Menschen zu animieren, doch wieder mit dem Essen zu beginnen. Wenn solche Maßnahmen ein Element der Bestrafung haben, dann erfüllen sie alle Kriterien, um nach Artikel 1 der UNO-Konvention gegen die Folter als Folter zu gelten.
INTERVIEW: BERND PICKERT