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Unter der orangefarbenen Markise

CITY WEST Das Hotel Bogotá in der Schlüterstraße soll schließen. Mit dem familiengeführten Hotel, das Kulturprominenz und Touristen schätzen, würde mehr sterben als eine Westberliner Institution

„Dieses Haus spiegelt die Zeitläufte Berlins in besonderer Weise“

REINHARD RÜRUP, HISTORIKER

VON NINA APIN

„Sehen Sie den Übergang im Parkett? Dort war einmal eine Wand: hier das Esszimmer, dort der Salon einer Wohnung mit unglaublichen zehn Zimmern.“ Was für den unbedarften Hotelgast nicht mehr als eine Linie auf dem Boden des Frühstücksraums ist, stellt für Joachim Rissmann eine von vielen spannenden Wendungen eines Historienkrimis dar. Der Inhaber des Hotel Bogotá in der Charlottenburger Schlüterstraße betrachtet sein Haus mit den Augen eines stolzen Schatzmeisters. „Es ist ein zeitgeschichtliches Juwel“, stellt der Hotelier klar, dessen Familie das Bogotá seit 1976 führt. Der Name erinnert an den Vorgänger Heinz Rewald, der nach seiner Rückkehr aus der kolumbianischen Emigration eine Etagenpension aufmachte.

Das Hotel mit der charakteristischen orangefarbenen Markise draußen und den 115 Zimmern drinnen ist eine Westberliner Institution: Prominente und Touristen schätzen den altmodischen Stil und die günstigen Preise der Zimmer, die zum Teil ohne Toilette und Dusche auskommen, dafür aber viel Historie bieten. Die Modefotografin Yva wohnte und arbeitete in den Zwanzigern hier. Historische Fotos an den goldgestreiften Tapeten erzählen davon, Fotoausstellungen führen die Tradition fort.

Damit könnte es bald vorbei sein: Dem Hotel droht die Räumung. Rissmann konnte im Winter die Miete nicht zahlen – es kamen zu wenige Gäste. Der Kölner Eigentümer Thomas Bscher, der das Haus vor acht Jahren kaufte, nahm die Mietschulden zum Anlass für die Kündigung. Bscher, dem auch das Nebenhaus, das Commerzbank-Haus an der Ecke Leibnitzstraße, und das Haus Cumberland gehören, hat andere Pläne mit der 102 Jahre alten Immobilie: Er will im Erdgeschoss Ladenflächen einrichten, darüber Büros. Als die Pläne bekannt wurden, bekundeten Prominente ihre Sympathie für das Hotel, der Tagesspiegel organisierte eine Podiumsdiskussion mit dem Hauseigentümer, dem Hotel und mit Bezirkspolitikern.

Ohne Erfolg: Das Bogotá, das mit rund 110.000 Euro beim Vermieter in der Kreide steht, muss schließen. Den 24 Angestellten hat Rissmann bereits zum Oktober gekündigt. Doch nun scheint es, als ob der Hotelier Beistand von neuer Seite bekäme: Der private Denkmalpflegeverein „Denk mal an Berlin“ hat ein Gutachten vorgelegt, das mit Verweis auf die bewegte Geschichte des Hauses eine Umnutzung verhindern will. Das Gutachten weist nach, dass das Haus Schlüterstraße 45 ein Denkmal der Baukunst und Zeitgeschichte ist – es wurde bereits 1995 in die Denkmalliste Berlins eingetragen, als eines von rund 1.000 Objekten, die Charlottenburg zum zweitdenkmalreichsten Stadtbezirk nach Mitte machen. Das Gutachten weist auch nach, dass die vom Eigentümer geplanten Umbauten tiefgreifende Eingriffe in die historische Bausubstanz darstellen. Die zuständigen Behörden müssten dies verhindern, fordern die Denkmalschützer, die das Gutachten an die Untere Denkmalschutzbehörde des Bezirks und das Landesdenkmalamt schickten.

Die beiden Gutachter tragen im Frühstücksraum ihre Sicht auf das Haus vor: Es wurde 1911 im Auftrag des Stuttgarter Bankiers Robert Leibbrand errichtet. Im Erdgeschoss und im 1. bis 3. Obergeschoss hatte das Haus jeweils eine 7-Zimmer-Wohnung mit 300 Quadratmetern und eine 10-Zimmer-Wohnung mit 410 Quadratmetern – Nebenräume wie Küche, Bäder oder Mädchenzimmer nicht mitgerechnet. Die Gesellschaftsräume wie Salon, Herren-, Wohn- oder Musikzimmer lagen im Vorderhaus, die Privaträume im Seiten- oder Mittelflügel des F-förmigen Baus. Sahnestücke waren die beiden obersten Wohnungen, die vom 4. Stock bis ins Dachgeschoss reichten: Die zweigeschossigen Duplex-Wohnungen mit offenen Treppen und Galerien gelten als Beispiel des Reformwohnungsbaus, der vom liberalen Bürgertum vor dem Ersten Weltkrieg besonders geschätzt wurde. Neben dem Bauherrn wohnte dort unter anderem der jüdische Architekt Leo Nachtlicht – sein Nachmieter, der Unternehmer Oskar Skaller, versteckte während des Kapp-Putsches 1920 den SPD-Vorsitzenden Otto Wels in seiner Wohnung. 1934 bezog die Fotografin Yva mit ihrem Mann die größere Duplexwohnung, ab 1936 lernte Helmut Neustädter bei ihr, der als Helmut Newton bekannt wurde.

Yva und ihr Mann wurden 1942 verhaftet und im KZ ermordet. Die Nazis „arisierten“ das in jüdischem Besitz befindliche Haus und richteten dort 1942 die Reichskulturkammer ein. Der Direktor Hans Hinkel ließ im Erdgeschoss, dem heutigen Speisesaal, einen Kinosaal mit Projektionsraum einbauen, wo er neue Filme prüfte. Im früheren Musikzimmer der 10-Zimmer-Wohnung im 2. Stock richtete Hinkel ein holzgetäfeltes Büro ein, in dem er mit UFA-Schauspielern über Rollen und Gagen verhandelte. Heute treffen sich in dem gut erhaltenen Raum die Hotelgäste zum Fernsehen.

Nach 1945 tagten im Haus Entnazifizierungsspruchkammern – unter anderem gegen den Dirigenten Wilhelm Furtwängler, der vom Vorwurf der Regime-Verstrickung freigesprochen wurde. Auch der Kulturbund nutzte das Haus. Nach der Restitution der Immobilie betrieb der Deutsche Gewerkschaftsbund dort eine Bildungsstätte. „Dieses Haus spiegelt die Zeitläufte Berlins und der Bundesrepublik in besonderer Weise“, fasste der Gutachter und Historiker Reinhard Rürup zusammen. Die Nutzung als Hotel garantiere, dass die Räume gepflegt und öffentlich zugänglich seien. „Der jetzige Betreiber hat sich immer liebevoll um die Historie gekümmert“, attestiert Rürup dem Hotelier. Wie der aber eine bessere Auslastung erreichen und sich von den Mietschulden befreien könne, wisse er auch nicht.

„Wir müssen bei den Geschäftsleuten beliebter werden“, seufzt der Hotelier Rissmann, als er einen kleinen Rundgang durchs Haus anführt. Die knarrenden Dielen und abgeschabten Teppiche, der Gemeinschaftsraum und die hölzerne Telefonkabine in der Lobby entsprechen kaum dem Komfort üblicher Businesshotels. Eine Minibar gibt es auch nicht. Dafür aber W-LAN, eine Auswahl an Snacks und Getränken an der Rezeption und Mönchsgesänge, die durch den Lichthof schallen. Und wo kann man schon beim Frühstück moderne Fotografie bestaunen oder in den langen Fluren Stammgästen wie der Fotografin Nan Goldin, die eins der wenigen Raucherzimmer belegt, oder dem Schauspieler Rupert Everett (im Premiumzimmer mit Minibar) begegnen? Bislang sind es vor allem Schulklassen und Kulturinteressierte, die sich für das abgehangene Hotel entscheiden. Bald könnte noch die Zielgruppe der Geschichtsfans hinzukommen. Ob die für die Rettung des Bogotá noch rechtzeitig kommt, wird sich zeigen.

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