: Russisches Agentenehepaar verurteilt
SPIONAGE Erdlöcher als tote Briefkästen: Das Oberlandesgericht Stuttgart verhängt mehrjährige Haftstrafen gegen zwei Agenten. Sie hatten für den russischen Auslandsgeheimdienst spioniert
STUTTGART taz | Ein russisches Agentenehepaar ist am Dienstag vom Oberlandesgericht Stuttgart zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Mehr als 20 Jahre lang hatten die beiden, getarnt als bürgerliches Paar, dem russischen Auslandsgeheimdienst SWR Dokumente zu EU und Nato zugespielt.
Während der US-Datenskandal und die Bespitzelung der Bürger übers Internet derzeit weltweit für Schlagzeilen sorgt, erinnerte der Prozess an Zeiten des Kalten Krieges. Allerdings begannen die beiden mit ihrer Spionage erst nach dem Mauerfall 1990. Seitdem sendeten sie verschlüsselte Signale über Satellit und Kurzwelle und nutzten Erdlöcher als tote Briefkästen. Getarnt als Pilzsammler hinterließen sie ihre Informationen an Wanderwegen. Im Internet schrieben sie auf YouTube verdeckte Kommentare unter Fußballvideos.
Seit 2008 sollen sie zudem einen Beamten im niederländischen Außenministerium mit Schmiergeldern als Agenten geführt haben – alles unter dem Deckmantel einer bürgerlichen Existenz.
Mit gefälschten österreichischen Pässen und unter ihren Aliasnamen Heidrun und Andreas Anschlag waren sie damals nach Deutschland gekommen. Er arbeitete als Ingenieur, sie gab die tüchtige Hausfrau. Sie lebten in einem Einfamilienhaus im hessischen Marburg, er hatte noch eine Zweitwohnung im schwäbischen Balingen. Ihre wahre Identität kennt das Gericht bis heute nicht.
Nun wurde er zu sechseinhalb Jahren Haft, sie zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Obwohl die beiden während des Prozesses meistens schwiegen, habe es selten Verfahren gegeben, bei denen die Beweislage so dicht gewesen sei, sagte Richterin Sabine Roggenbrod. Das Haus, in dem ein Sondereinsatzkommando der Polizei Heidrun Anschlag damals überrascht hatte, sei eine „Fundgrube“ gewesen. Mit Hilfe der technischen Geräte und einer Vielzahl an Funksprüchen konnte ein präzises Bild erstellt werden, das ein „höchst konspiratives“ Vorgehen gezeichnet habe, so die Richterin.
Die Agententätigkeit bescherte beiden ein monatliches Einkommen von über 4.000 Euro. Zudem wurden sämtliche Kosten wie Miete oder Arztkosten übernommen. Bis zur Festnahme hatten sie eine Gesamtsumme von 690.000 Euro angespart. Wo das Geld liegt, konnten die Ermittler jedoch nicht herausfinden. Die Anschlags können gegen das Urteil Revision einlegen.
NADINE MICHEL